Sud-Ouest SO.4000 Vautour I

08.04.2023 EK
Sud-Ouest SO.4000 Vautour I
Sud-Ouest SO.4000 Vautour I (Archiv: Eberhard Kranz)

Sud-Ouest SO.4000 Vautour I

Entwicklungsgeschichte der Sud-Ouest SO.4000 Vautour I

Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 08.Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa beendet. Frankreich war als vierte Siegermacht bestrebt, nun seinen kriegsbedingten technischen Rückstand im Flugzeug- und Triebwerksbau schnellstmöglich aufzuholen und den technologischen Anschluss an die Luftfahrtentwicklung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens wieder herzustellen. Das Ziel war, für die französischen Luftstreitkräfte, die Armeé de l'air, so schnell wie möglich eigene, in Frankreich entwickelte und gebaute Flugzeuge, zum Einsatz zu bringen und so unabhängig von importierten Maschinen aus den USA und Großbritannien zu werden. So wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, die Flugzeugfabriken wieder aufzubauen und die Flugzeugfirmen mit den ersten Entwicklungsaufträgen zu versorgen. Dasselbe galt für den Triebwerksbereich, nur hier dauerte es aber deutlich länger, bis eigene französische Strahltriebwerke zur Verfügung standen.

Sud-Ouest SO.4000 Vautour I (Archiv: Eberhard Kranz)

Viele deutsche Ingenieure und ein britisches Triebwerk

Vorerst beschloss man, das erprobte Rolls Royce Nene 102 Triebwerk bei Hispano-Suiza in Lizenz zu fertigen. Die französische Luftfahrtindustrie konnte unter der deutschen Besatzung keine Forschung und Entwicklung betreiben und war nur eine verlängerte Werkbank der deutschen Flugzeugproduzenten, wie Heinkel oder Messerschmitt. Die modernsten aerodynamischen Entwicklungen wie Pfeilflügel und Flächenregel erhielt man aus den erbeuteten deutschen Forschungsergebnissen und den geschätzt 2000 bis 3000 ins Land geholten deutschen Spezialisten. Für den Bereich Hochgeschwindigkeitsflug waren zum Beispiel der ehemalige Leiter der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug, Professor Walter Georgii, wo man ab Herbst 1944 das raketengetriebene Überschallversuchsflugzeug DFS 346 entwickelte, sowie unter anderem Eugen Sänger, sowie Wilhelm Flügge, Kurt Maguerre und Johannes Dürr von der DVL (Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt) in Berlin-Adlershof für das neugegründete Office National d'Études et de Recherches Aéronautiques (ONERA) tätig. Neben der Entwicklung von düsengetriebenen Jagdflugzeugen beziehungsweise Jagdbombern stellte die Entwicklung eines taktischen strahlgetriebenen Bombenflugzeugs eine besondere Herausforderung dar. Entsprechend einer Ausschreibung der Armeé de l'air sollte das Flugzeug zwei Nene Triebwerke erhalten, eine Höchstgeschwindigkeit von 900 km/h erreichen, eine Gipfelhöhe von 10.000 Meter garantieren und mindestens 2.600 kg Bomben über 2000 Kilometer befördern. Diese geforderten Leistungen waren recht hoch, sie lagen etwa gleich mit denen des britischen Strahlbombers English Electric Canberra, der ab 1947 entwickelt wurde und am 13. Mai 1949 seinen erfolgreichen Erstflug absolvierte.

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Hauptkonstruktionsmerkmale der Sud-Ouest SO.4000 Vautour I

Die Maschine war ein Mitteldecker in Ganzmetallbauweise mit Normalleitwerk. Als Antrieb dienten zwei Hispano-Suiza (Rolls Royce) Nene 102, die nebeneinander im Rumpfheck eingebaut waren. Eigentlich wollte man bei SNCASO zwei Armstrong Siddeley Sapphire mit je 3,250 kp Schub verwenden. Da diese Triebwerke aber noch in der Entwicklung waren und bei der Erprobung ständig technische Probleme auftraten, zog man die in Lizenz gefertigten Nene 102 vor. Die Lufteinläufe befanden sich weit nach vorn gezogen an den Seiten des Vorderrumpfes, was zwangsläufig lange Luftkanäle, über 10 Meter; bis zu den Triebwerken nötig machte, mit allen Nachteilen wie Druckverlust und Wirbelbildung. Lediglich zum Rumpf hin hatte man je ein Abgrenzungsblech montiert, um die Grenzschicht von den halbkreisförmigen Einlauföffnungen abzuleiten und durch zwei Schlitze an den Unterseiten der Lufteinläufe wieder nach Außen strömen zu lassen. Die beiden Triebwerke konnte man wegen ihrer Größe nicht an Pylonen unter die Tragflächen hängen, der Außendurchmesser der Nene 102 Turbine ohne Verkleidung betrug 1,257 Meter und die Länge lag 2,46 Meter bei einem Leergewicht von 730 kg. Besonders der Durchmesser hätte zu einem sehr hohen Fahrwerk gezwungen, also musste man sie im Hinterrumpf unterbringen, der dadurch sehr voluminös ausfiel. Diese Einbauart hatte zwar aerodynamische Vorteile brachte aber große Leistungsverluste wegen der langen Luftkanäle, bis zu 22 Prozent. Das war für das an sich schon große und vor allem schwere Flugzeug eine deutliche Beeinträchtigung der Flugleistungen. Ein seitlicher Anbau an den Vorderrumpf, ähnlich dem Anbau der Triebwerke bei der Ju 287 V1, wurde zwar angedacht aber verworfen, wobei diese Lösung bei der Martin XB 51 realisiert wurde und problemlos funktionierte.

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Der Rumpf hatte eigentlich einen kreisrunden Querschnitt und war ab den Lufteinläufen zu einem liegenden Oval aufgedickt. Im Rumpfbug war der Platz des Bordingenieurs, der gleichzeitig die Funktion des Beobachters und Bombenschützen ausübte. Deshalb war der Rumpfbug oben auch verglast. Der Pilot befand sich in der Aufgesetzten voll verglasten Kabine, die durch ihre Lage fast über dem Rumpfbug sehr gute Sicht nach vorn und vorn unten bot, während die Sicht rückwärts nahe Null war. Beide Plätze befanden sich in einer Druckkabine. Für den Notfall gab es keinen Schleudersitz. In diesem Fall sollten der Pilot und der Bordingenieur die Maschine nach unten durch eine Rutsche verlassen. Dieses Verfahren sollt mit dem Experimentalflugzeug S.O.M.1 erprobt werden. Der vordere Rumpf nahm das ungewöhnlich lange Bugradfahrwerk auf, das nach hinten in den Unterrumpf hydraulisch eingefahren wurde. Der Fahrwerkschacht nahm einen Großteil des vorderen Rumpfes ein. An den Fahrwerksschacht schloss sich ein ziemlich großer Bombenschacht mit einer Länge von 7,50 m an, in dem insgesamt 1.800 kg Bomben untergebracht werden konnten, meist vier 450 kg Bomben. Seitlich wurde der Bombenschacht von den Luftkanälen der Triebwerke begrenzt. Die obere Begrenzung des Bombenschachtes bildete der Tragflächenkasten. Darüber befanden sich drei Kraftstofftanks für insgesamt 6.500 Liter Kerosin. Den hinteren Teil des Rumpfes beanspruchten die beiden Nene 102 Triebwerke, die ohne Nachbrenner eingebaut wurden. Das Seitenleitwerk war eine Ganzmetallkonstruktion mit modifizierten glockenförmigen Aufriss und wies als Besonderheit auf, daß es bis zum Boden des Rumpfes reichte und so zwischen den Schubdüsen beider Triebwerke lag. Das Seitenruder aus Leichtmetall reichte nicht soweit, sondern nur über zwei Drittel der Seitenleitwerksflosse. Die Trimmung des Ruders erfolgte vom Piloten aus elektrisch. Das gepfeilte Höhenleitwerk war eine Ganzmetallkonstruktion und lag über den Abgasrohren der Triebwerke und war an den hinteren Rumpfspanten angeschlagen. Die Höhenruder aus Leichtmetall wurden ebenfalls elektrisch betätigt und getrimmt.

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Die einholmigen, mit zwei zusätzlichen Hilfsholmen versehenen Tragflächen, waren Ganzmetallkonstruktionen, die an einem Tragflächenkasten, der mit den Rumpfspanten und den Stringern verbunden war, angesetzt. Sie hatten ein symmetrisches Profil, ähnlich NACA 0.0012. Dadurch das die Tragflächen über eine konstante Dicke von 10 Prozent und durchgängig ein Profil hatten, traten später beim einzigen durchgeführten Flug der SO.4000 starke Strömungsabriss-Erscheinungen auf. Die festen Vorflügel gingen über die gesamte Länge der Vorderkante. An den Hinterkanten der Tragflächen waren Spaltklappen angebracht, die Querruder waren relativ kurz und verfügten noch über Störklappen, die mechanisch, also manuell, betätigt wurden. Das Fahrwerk war eine absolut ungewöhnliche Konstruktion an diesem ungewöhnlichen Flugzeug, es bestand aus einem einfach bereiften Bugrad, das später um 45 Grad lenkbar sein sollte, für das erste aber starr eingebaut wurde. Auch verfügte es über keine Bremse. Das lange Federbein wurde hydraulisch gedämpft und auch der Einfahrmechanismus wurde hydraulisch betätigt. Der Fahrwerkschacht unter der Druckkabine wurde mit zwei seitlich angebrachten großen Klappen, ebenfalls hydraulisch betätigt, nach dem Start geschlossen. Das Hauptfahrwerk bestand auf jeder Seite aus zwei unabhängigen, einrädrigen Schwinghebel-Fahrwerken, die auf dem ersten Blick wie ein Tandem- oder Wagenfahrwerk aussahen, in Wirklichkeit aber völlig unabhängig voneinander waren. Der Grund für diese eigenwillige Auslegung soll in der Forderung von Start und Landung auf unbefestigten Grasflächen zu suchen sein, deshalb auch der ungewöhnlich große Verfahrweg der hydraulischen Federbeine von knapp einem Meter. Die Fahrwerke waren an den entsprechenden Rumpfspanten angeschlagen, was zu einer geringen Spurweite führte. Die einzelnen Fahrwerke wurden nach Außen in die Flügelwurzel eingefahren, wo große Fahrwerksschächte befanden, die nach dem Start mit hydraulisch betätigten Klappen verschlossen wurden. Diese riesigen Fahrwerksschächte, die den großen verwendeten Einzelrädern (950 x 350) geschuldet waren, führten zwangsläufig zu einer baulichen Schwächung im an sich schon kritischen Bereich der Flügelwurzeln. In Kombination mit der durchgängigen Flügeldicke von 10 Prozent wurde es dadurch unmöglich Tanks im Tragflügel unterzubringen.

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Erprobung der Sud-Ouest SO.4000 Vautour I

Um die Vielzahl der technischen Besonderheiten der Maschine zu erproben und dann einzuschätzen, wurden zwei Versuchsflugzeuge im Maßstab 1:2, also in halber Größe gebaut. S.O.M.1 war ein Segelflugzeug, der zur Erprobung der Flugeigenschaften des Tragflügels dienen sollte. Er wurde mehrmals von einer He274 (AAS.01) ab Mitte 1948 auf dem Rumpf montiert geflogen, aber nie für einen freien Flug ausgeklinkt. Erst am 28.September 1949 begann die Flugerprobung, in dem die Maschine in etwa 5.000 m von dem nun verwendeten Trägerflugzeug Languedoc abhob. Das zweite Versuchsflugzeug SNCASO S.O.M. 2 war als Strahlflugzeug in Ganzmetallbauweise ausgelegt. Als Antrieb diente ein Rolls Royce Derwent V Strahltriebwerk, mit einer ähnlichen Leistung wie das Nene 102. Das Fahrwerk war ein einziehbares Tandemfahrwerk, bestehend aus drei Haupträdern hintereinander am Rumpfboden, einem Bugrad und je einem Stützrad an den Flügelenden, die in Strömungskörpern eingefahren wurden. Die Maschine hatte eine Spannweite von 9,08 m, eine Länge von 9,90 m und eine Leermasse von 3.560 kg. Die Abflugmasse lag bei 5.400 kg. Die errechnete Höchstgeschwindigkeit betrug 1.000 km/h, ob diese aber erflogen wurde, ist unbekannt. Durch die Verzögerungen mit dem Gleiter S.O.M.1, erfolgte der Erstflug der S.O.M.2 am 13. April 1949 vor dem Erstflug des Gleiters, mit dem eigentlich im Vorfeld die Flugeigenschaften des Pfeilflügels getestet werden sollten.

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Die Sud-Ouest SO.4000 Vautour I blieb ein Prototyp

Als die S.O.4000 Anfang 1951 endlich fertig gestellt war, erhielt die Maschine die offizielle Kennung F-WBBL und begann mit der Bodenerprobung. Gleichzeitig stellte man aber fest, dass sie viel zu schwer geworden war und die beiden Nene 102 Triebwerk für diesen Koloss einfach zu schwach waren. Außerdem war die technische Entwicklung im Strahlbomberbau in den vergangenen fünf Jahren enorm fortgeschritten, so dass die Maschine bereits völlig veraltet war, sowohl im Anforderungsprofil als auch in den Leistungen, bevor sie sich in die Luft erhob. Um wenigstens die Flugfähigkeit zu demonstrieren, startete der Chefpilot von SNCASO, Jaques Guinard am 16. März 1951 zum Erstflug, dieser dauerte gut 30 Minuten und verlief zufriedenstellend. Danach wurde das Flugzeug eingemottet und flog nie mehr. Mitte der 1950iger Jahre wurde es dann stillschweigend verschrottet. Die beim Bau gesammelten Erfahrungen flossen zum größten Teil in die Entwicklung der erfolgreichen S.O.4050 Vautour II ein.

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Technische Daten: Sud-Ouest SO.4000 Vautour I

Verwendung:  Versuchsbomber

Triebwerk: zwei Hispano Suiza, Lizenzfertigung von Rolls Royce Nene Mk.102 einstufiges Radialverdichter-Triebwerk mit neun Einzelbrennkammern und einer einstufigen Axialturbine
Startleistung:  je 2.265 kp (22,2 kN) bei 12.300 U/min
Dauerleistung: je 1.645 kp (16,1 kN)bei 11.500 U/min in 6.000 m
Leerlauf: je 51 kp (0,5 kN) bei 2.500 U/min
Durchschnittlicher Kraftstoffverbrauch:  je Triebwerk 109,1 kg/kNh (98,19 Liter) = 1.756,51 kg/h = (1.581 l/h)

Baujahr: 1950
Besatzung: 2 Mann
Erstflug: 16. März 1951

Abmessungen:

Spannweite : 17,86 m

Länge: 20,11 m

größte Höhe: 5,78 m

Spannweite Höhenleitwerk: 9,21 m

Wurzeltiefe Höhenleitwerk: 2,40 m

größte Rumpfbreite über Lufteinläufen: 2,86 m

größte Rumpfhöhe: 2,18 m

Spurweite: 3,25 m

Radstand: zu Mitte  vorderes Hauptfahrwerkrad  7,20 m

Abstand zwischen den Hauptfahrwerkrädern (Mitte zu Mitte): 1,75 m

Flügelfläche: 75,00 m²

V-Form:  +0,5°

Pfeilung der Vorderkante: 35°

Pfeilung der Hinterkante: 16°

Streckung: 4,253

Wurzeltiefe: 5,60 m

Reifen: Bugrad 780 x 260   Hauptfahrwerk: 950 x 350

Massen:

Leermasse:  13.920 kg

Startmasse normal:   25.360 kg

Startmasse maximal: 3.580 kg

Tankinhalt: 6.500 Liter

Flächenbelastung: 338,2 kg/m²

Leistungsbelastung: 7,71 kg/kp Schub 

Leistungen:

Höchstgeschwindigkeit in Bodennähe: 835 km/h

Höchstgeschwindigkeit in 9.000 m: 860 km/h

Reisegeschwindigkeit in 6.000 m:  678 km/h

Gipfelhöhe: 10.000 m

Steigleistung: 11,0 m/s (660 m/min)

Steigzeit auf 1.000 m: 1,5 min

Steigzeit auf 3.000 m: 4,8 min

Steigzeit auf 5.000 m: 8,5 m

Steigzeit auf 10.000 m: 19 min

Reichweite normal: 1.750 km

Reichweite maximal: 1.950 km

Flugdauer: 2,75 h

Bewaffnung

Vorgesehen zwei 30 mm Maschinenkanonen DEFA 551 (Mauser  MG 213) mit je 120 Schuß  (Die Bewaffnung wurde nie eingebaut)
Bombenlast maximal: 3.600 kg, davon 1.800 kg im Bombenschacht (4x 450 kg) und 1.800 kg an vier Unterflügelpositionen (4 x 450 kg)

Eberhard Kranz

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