Bell XP-77

19.03.2015 EK
Bell XP-77 (Archiv: Eberhard Kranz)
Bell XP-77

Kurz nach Kriegseintritt der USA forderte man ein Kampfflugzeug, das hauptsächlich aus nicht kriegswichtigen Werkstoffen produziert hätte werden sollen. Bell machte sich daraufhin an die Entwicklung der XP-77, bei der hauptsächlich Holz verwendet wurde. Die Maschine erreichte die geforderten Leistungswerte nie, so dass das Projekt Ende 1944 eingestellt werden musste. Spannweite: 8,38 m, Länge: 6,96 m, Höchstgeschwindigkeit 531 km/h.

Bell XP-77

Mit dem Eintritt der Vereinigten Staaten nach dem Überfall Japans auf Pearl Harbor in den zweiten Weltkrieg war man sich in den für die Ausrüstung zuständigen Abteilungen der USAAF nicht sicher, ob die produzierten Mengen an Aluminium, Stahl und Buntmetallen für die geforderten enormen Stückzahlen an Kampfflugzeugen jeglicher Art ausreichen würden. Deshalb forderte man bereits im Oktober 1941 die Entwicklung alternativer Flugzeuge aus sogenannten nicht strategischen Werkstoffen, womit in erster Linie Holz und Stahlrohr gemeint waren. Neben Kampf- und Transportflugzeugen forderte man auch einen derartigen alternativen Jäger.  Zu diesem Zweck fragte man bei der Bell Aircraft Corporation, wo man gerade begonnen hatte, den Jäger P-39 Airacobra in Großserie zu fertigen, an und forderte einen entsprechenden Entwurf. Larry Bell war von dieser ungewöhnlichen Aufgabe begeistert und obwohl man bei Bell über keinerlei Erfahrungen mit dem Werkstoff Holz hatte, ging man auf die Forderung ein. In Europa, besonders in Frankreich und Italien, hatte man schon seit der Mitte der Dreißiger Jahre mit der Entwicklung leichter Jagdflugzeuge beschäftigt. Es entstanden so die Arsenal VG-30 und VG-39, die Caudron CR.760 und CR.770, sowie die Ambrosini SAI 402 und 403 Dardo, während es für die Flugzeughersteller der Vereinigten Staaten völliges Neuland darstellte. Larry Bell beauftragte seinen Chefkonstrukteur Robert Woods, sich mit seinem Entwicklungsteam dieser Aufgabe anzunehmen und es entstand in kurzer Zeit das Projekt Tri-4, was für die ehrgeizigen Ziele 400 PS Antriebsleistung, 4000 Pfund Startgewicht und 400 Meilen/Stunde Höchstgeschwindigkeit stand. Später wurde das Projekt intern in D-6 umbenannt.  Da man keinen geeigneten Motor mit der angestrebten Leistung von 400 PS fand, entschied sich Woods für den luftgekühlten hängenden Zwölf-Zylinder-Reihenmotor Ranger XV-770-9 mit Turbolader, der gerade seinen 100 Stunden Testlauf beim Hersteller Ranger Aircraft Engine Division, die ein Teil der Fairchild Engine and Aircraft Corporation in Hagerstown war, erfolgreich absolviert hatte. Der Motor gab dabei ohne Turbolader eine Leistung von 500 PS ab. Als Bewaffnung sollte eine 20 mm Maschinenkanone Hispano-Suiza HS.404 mit 60 Schuß, die durch die hohle Propellerwelle schoß, und zwei 12,7 mm Maschinengewehre Browning M2 mit je 200 Schuß, die seitlich über dem Motor angebracht waren, und synchronisiert durch den Propellerkreis schossen.

Bell XP-77 (Archiv: Eberhard Kranz)

Hauptkonstruktionsmerkmale der Bell XP-77

Der endgültige Entwurf der Tri-4 sah einen aerodynamisch gut durchgebildeten zierlichen Tiefdecker mit freitragendem Normalleitwerk in Vollholzbauweise vor. Die freitragenden, trapezförmigen Tragflächen hatten ein Laminarprofil und über die ganze Länge waren hinten Querruder und Landeklappen vorgesehen. Die ganze Maschine war sehr klein und im Vergleich zur P-39 fast winzig. Der Rumpf hatte einen ovalen Querschnitt. Die Kabine war weit nach hinten, hinter die Tragflächen, gerückt und mit einer nach hinten verschiebbaren Vollsichthaube aus Plexiglas versehen. Es war aber von Anfang an klar, daß die so weit hinten liegende Kabine starke Sichtbeeinträchtigungen für den Piloten bringen würde. Der Aufbau war als Halbschale ausgeführt, die Spanten und die Längsstringer bestanden aus heiß verleimten mehrschichtigen Buchensperrholz, lediglich die Beschläge und Verbindungselementen bestanden aus Metall, die mit den Sperrholzteilen verschraubt wurden. Die Beplankung aus formgepreßten Sperrholzelementen unterschiedlicher Stärke wurde aufgeklebt und zur Sicherheit ebenfalls noch zusätzlich verschraubt. Aus Unsicherheit über die Möglichkeiten des Materials Sperrholz hatte man viele Bauteile überdimensioniert, was zum deutlichen Überschreiten der ursprünglich geplanten Leermasse führte. Im Rumpf befand sich hinter der Pilotenkabine der 40 Gallonen (151,42 Liter) Haupttreibstofftank. Hinter den Tragflächen im Rumpfboden sollte der einstufige Turbolader eingebaut werden, der einen Teil des Abgases über eine Schubdüse abgeben sollte. Der Schub war bei Ranger Aircraft Engine mit etwa 80 kp gemessen worden. Im vorderen Rumpf waren seitlich neben dem Motor je zwei Maschinengewehre Browning M2 in der Höhe gestaffelt eingebaut, nachdem man aus Gewichtsgründen auf die Motorkanone HS.404 hatte verzichten müssen. Die weit hinten angebrachte Kabine, die mit einer verschiebbaren Vollsicht-Plexiglashaube verkleidet war, bot dem Piloten nach vorn durch den langen Vorderrumpf, trotz dessen leicht geneigter Form, und nach vorn unten durch die Tragflächen sehr schlechte Sicht, was für ein Jagdflugzeug gänzlich unmöglich ist. Der Lufteintritt der Kühlluft für den Motor erfolgte über eine ovale Öffnung im Rumpfbug. Den Luftstrom teilte man mit Leitblechen nach rechts und links auf und führte ihn an den hängenden Zylindern vorbei. Für die Kühlung am Boden diente ein zusätzliches Kühlgebläse, das vom Motor angetrieben wurde. Als Luftschraube verwendete man einen zweiblättrigen, verstellbaren Metallpropeller System Fairchild. Da man mit dem Bugradfahrwerk der P-39 gute Erfahrungen gemacht hatte, sah man auch für die neue Maschine ein solches vor. Das schwenkbare Bugrad wurde ölpneumatisch nach hinten in den vorderen Rumpfboden eingezogen und der Fahrwerksschacht mit zwei seitlichen Klappen während des Fluges vollständig abgedeckt. Die beiden ölpneumatisch bremsbaren Hauptfahrwerke fuhren seitlich in die Flügelwurzeln ein. Die Fahrwerksschächte wurden im Flug ebenfalls von Abdeckklappen völlig verschlossen. Die schlanken trapezförmigen Tragflächen waren einholmig aufgebaut. Die Flügelnase war als Formpressteil ausgeführt. Hauptholm und Rippen bestanden ebenfalls aus Buchensperrholz. In jeder Tragfläche war ein 20 Gallonen (75,71 Liter) Treibstofftank untergebracht. Die Verkleidung bestand aus unterschiedlich dicken Sperrholzplatten, die wie beim Rumpf aufgeklebt und zusätzlich verschraubt waren. An der Tragflächenhinterkante befanden sich über die gesamte Länge Querruder und Bremsklappen, beide ebenfalls aus Sperrholz. Der Anschluß der Tragflächen an den Rumpf erfolgte mittels Schnellspannschrauben und Kugelbolzen. Das Seitenleitwerk, ebenfalls eine Ganzholzkonstruktion, war trapezförmig. Die Ruderfläche hatte einen Hornausgleich. Die freitragenden Höhenleitwerke, ebenfalls Ganzholzkonstruktionen, waren einholmig ausgeführt. Die Höhenruder hatten verstellbare Trimmklappen.

Bell XP-77 (Archiv: Eberhard Kranz)

Produktion und Entwicklung bereitete Probleme

Als Leistungsdaten hatte man bei Bell eine Höchstgeschwindigkeit von 410 Meilen/h (660 km/h) in 27.000 Fuß Höhe (8.200 m), eine Gipfelhöhe von 30.100 Fuß (9.180 m)  und eine Steigleistung von 3.600 Fuß/min (18,3 m/s) errechnet. Die Leermasse der Maschine hatte man mit 1.150 kg veranschlagt und die Startmasse mit 1.680 kg. Mit diesen Daten reichte man das Projekt zur Prüfung ein und am 16. Mai 1942 erhielt Bell einen Auftrag zum Bau von vorerst 25 Exemplaren zu Erprobungszwecken. Allerdings sollte das neue Flugzeug zusätzlich als Jagdbomber eine Bombe von mindestens 300 Pfund (136,2 kg) tragen können. Um diese Forderung erfüllen zu können, mußte man allerdings auf den Einbau der 20 mm Motorkanone verzichten und stattdessen zwei zusätzliche 12,7 mm Maschinengewehre verwenden. Der Entwurf Robert Woods erhielt gleichzeitig mit der Bestellung die offizielle USAAF Bezeichnung P-77, die 25 Versuchsmuster wurden als XP-77 bezeichnet. Bei Bell begann man mit der Konstruktion der P-77. Als erstes baute man ein Mockup im Maßstab 1:1 mit dem man aufwendige Untersuchung im Windkanal durchführte um die aerodynamisch günstigste Form zu ermitteln. Am 21. und 22. September 1942 wurde das Mockup vom  den Spezialisten der  USAAF inspiziert und mehrere Änderungswünsche vorgetragen. Besonders besorgt war man über die voraussichtliche Erhöhung der Leermasse. Auch bereitete die Bereitstellung der vorgesehenen Ranger Motoren große Probleme, denn die Version XV-770-9 mit Turbolader konnte nicht geliefert werden, da man mit der Funktionssicherheit riesige Probleme hatte. Auf Drängen von Bell lieferte man schließlich zwei Prototypen XV-770-7 ohne Turbolader, die eine Startleistung von 500 PS hatten, allerdings dann bei den Testflügen in größeren Flughöhen einen starken Leistungsverlust zeigten. Schließlich erklärte Fairchild, daß die Turboladerversion des Ranger V-770 nicht vor Anfang 1944 zur Verfügung stehen würde. Daraufhin schlug Bell der USAAF vor, lediglich sieben Exemplare der XP-77 mit dem XV-770-7, also ohne Turbolader zu bauen, um die Erprobung der Maschine nicht weiter verschieben zu müssen.  Gleichzeitig reichten aber die Entwicklungskapazitäten bei Bell nicht aus, um der XP-77  höchste Priorität zukommen zu lassen. Die Hauptprobleme lagen von Anfang an in der völligen Unkenntnis des Werkstoffes Holz, deshalb mußte man mehrere Unterlieferanten aus der Möbelindustrie mit dem Bau der verschiedenen Baugruppen beauftragen, die zwar viel vom Werkstoff Holz, aber nichts vom Flugzeugbau verstanden. Schließlich entschied man bei Bell, die Fertigung vorerst auf nur zwei Prototypen zu beschränken. Diesem Vorschlag stimmte die USAAF zu, zudem es sich herausgestellt hatte, daß es zu keiner kritischen Verknappung von strategischen Materialien gekommen war, obwohl zehntausende verschiedener Kampfflugzeuge jährlich die Fertigungshallen verlassen hatten. Schließlich sah man in dem Projekt nur noch das Ziel, ob es möglich sei ein modernes Jagdflugzeug aus Holz zu bauen und zu sehen, wie sich dieses im Einsatz verhalten würde.  Auch war die P-77 von ihren geplanten Leistungen wohl nicht in der Lage, erfolgreich Luftkämpfe gegen die japanischen Mitsubishi A6M4 oder J2M zu bestehen. Dafür baute man ja schon die erfolgreichen  Grumman F6F-5  Hellcat und die Vought F4U Corsair, beides Ganzmetallflugzeuge in Großserien. Nach zahllosen Änderungen und Pannen, so gab es große Probleme mit den verwendeten Klebstoffen, war im Februar 1944 der erste Prototyp der XP-77 mit der Werknummer 334915 fertig gestellt.

Bell XP-77 (Archiv: Eberhard Kranz)

Erprobung der XP-77

Die Bodenerprobung verlief problemlos, besonders die Bugradausführung erlaubte ein leichtes Handling am Boden. Allerdings traten bei gewissen Drehzahlen starke Schwingungen auf, die sich über das ganze Flugzeug ausbreiteten. Am 01. April 1944 startete Werkspilot Jack Williams auf der Wright Field AB mit der 334915 zum Erstflug. Die Flugeigenschaften bewertete er als schwierig, die Maschine war instabil um die Längsachse. Die heftigen Schwingungen machten es unmöglich die Instrumente sicher abzulesen und die Sicht war besonders bei Start und Landung erbärmlich. Die Ursache der heftigen Schwingungen war bald gefunden, der Motor war ohne Puffer einfach an den Motorträgern befestigt worden. Durch die Verwendung von starken Gummipuffern wurde das Problem gelöst. Die erflogenen Leistungen waren weit von den projektierten entfernt. So lag die erreichte Höchstgeschwindigkeit bei lediglich knapp 530 km/h obwohl die Maschine noch ohne Bewaffnung flog, projektiert hatte man 660 km/h. Die Flugeigenschaften blieben trotz verschiedener Umbauten schwierig, teilweise sogar tückisch. Ende April war der zweite Prototyp mit der Werksnummer 334916 fertig gestellt. Auch er hatte einen Ranger XV-770-7 ohne Turbolader. Beide Maschinen wurden zur Eglin Field AB nach Florida verlegt, wo das weitere Testprogramm durchgeführt werden sollte. Am 02. Oktober 1944 sollte der zweite Prototyp 334916 mehrere Kunstflugfiguren über der Eglin Field Ab durchführen. Nach einem Immelmann geriet die Maschine in ein Flachtrudeln aus dem sie der Pilot nicht mehr herausbrachte. Die Maschine stürzte ab und zerschellte am Boden. Der Pilot konnte zum Glück  noch aussteigen und rettete sich mit dem Fallschirm. Am 15. Dezember 1944 wurde das P-77 Programm seitens der USAAF offiziell als beendet erklärt. Die Gesamtkosten beliefen sich bis dahin auf  18,3 Millionen US Dollar. Der erste Prototyp XP-77 Werksnummer 334915 hat überlebt und ist heute im National Museum of U.S. Air Force in Dayton, Ohio, zu besichtigen.

Bell XP-77 (Archiv: Eberhard Kranz)

Technische Daten: Bell XP-77

Verwendung: Jagdflugzeug
Land: USA
Baujahr: 1944
Besatzung: 1 Mann

Triebwerk: ein luftgekühlter  hängender 12-Zylinder-V-Reihenmotor Ranger  V-770-7 mit Turbolader und Untersetzungsgetriebe und verstellbarem Zweiblatt-Metall-Propeller  System Fairchild
Startleistung: 575 PS  422,8 kW)
Dauerleistung: 500 PS (367,6 kW) in 4.400 m  

Etsflug: 01. April 1944

Abmessungen:

Spannweite: 8,38 m

Länge: 6,96 m

größte Höhe: 2,49 m

größte Flügeltiefe: 1,56 m

größte Rumpfhöhe: 1,52 m

größte Rumpfbreite: 0,84 m

Spannweite Seitenleitwerk: 2,70 m

Propellerdurchmesser: 2,85 m

Propellerfläche: 6,38 m²

Spurweite: 2,42 m

Flügelfläche: 9,29 m²

Pfeilung Flügelvorderkante: 5°

V-Form: +5° 20’

Flügelstreckung: 7,56

Massen:

Leermasse: 1.296 kg

Startmasse normal: 1.829 kg

Startmasse maximal: 1.960 kg

Tankinhalt: 303 Liter

Tankinhalt Schmierstofftank: 30 Liter

Flächenbelastung: 210,98 kg/m²

Leistungsbelastung: 3,41 kg/PS  (4,64 kg/kW)

Leistungen:

Höchstgeschwindigkeit in Bodennähe: 505 km/h

Höchstgeschwindigkeit in 4.400 m: 531 km/h

Marschgeschwindigkeit in  4.000 m:  446 km/h

Landegeschwindigkeit: 130 km/h

Gipfelhöhe: 9.200 m

Steigleistung: 18,3 m/s

Steigzeit auf 1.000 m: 1,0 min

Steigzeit auf 5.000 m: 6,5 min

Reichweite normal: 680 km

Reichweite maximal: 890 km

Flugdauer: 2 h

Startstrecke: 290 m

Bewaffnung: vier 12,7 mm Maschinengewehre Colt-Browning M2  mit je 200 Schuss
oder eine 20 mm Maschinenkanone HS.404 mit  60 Schuß und zwei 12,7 mm Maschinengewehre Colt-Browning M2 mit je 200 Schuß
Bombenlast:  max. 148 kg (nur bei Bewaffnung mit vier 12,7 mm MG M2 möglich)

Text: Eberhard Kranz

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