Husarenstücke

19.02.2009 PSEN
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Dennis Lupp berichtet über den Transfer einer Morane MS893 von Ganderkesee nach Girona in Spanien

Wetterpoker um eine hübsche Französin

Wenn eine viersitzige Sportmaschine von Deutschland nach Spanien überführt werden soll, finden sich normalerweise schnell wackere Piloten, die sich um diese Aufgabe reißen. Wenn das jedoch im März bei bekanntermaßen miesem Wetter passieren muss, wird die Schar der Aufrechten schon kleiner; wenn der Termin dann auf den Tag genau feststeht - und zwar im Voraus - ist die Anzahl der möglichen Ferry-Pilots recht übersichtlich. So fanden sich am Ende nur noch Sebastian und ich, die nach Errechnung der Gesamtkosten und erfolgter Buchung der Rückflüge die Übergabe einer Morane MS893 von Ganderkesee nach Girona in Spanien durchführen wollten.

Rollout

Das Wetter war März-typisch: monströse Tiefdruckgebiete, aus der Biskaya kommend, vergifteten nachhaltig das Klima über Kontinentaleuropa; ein Zwischenhoch über Spanien und die Reste eines faserigen Tiefs bei Griechenland bildeten einen Wettertrog, der sich von Mitteldeutschland aus durch Frankreich bis an die Mittelmeerküste zog. Das war unsere Chance - durch diese hohle Gasse mussten wir kommen. Der Abflug wurde für Freitag, den 07. März festgelegt; an der Kante des süd-ostwärts ziehenden Tiefdruckgebietes sollte nach Spanien gefranzt werden - und das so schnell wie möglich.

Wir trafen uns also in der Woche - es war ein Mittwoch Abend, der Tag war schön und die Sonne ging bald unter - um unsere nötige Einweisung auf der Morane zu fliegen. Sie war 1971 gebaut und allein von ihrer Lackierung her schon ein Kind der Siebziger: weißer Grund mit oliven und orangen Streifen; die Wingtips und der Spinner leuchtend Signalorange, die Cowling komplett Dunkelolivgrün. Die Sitze zierten wuschelige tote Schafe, der Uhrenladen ziemlich komplett inklusive VOR und einem LX5000er Logger (was sucht der hier?). Vom Instrumentenbrett prangte leuchtend rot ein überdimensionierter Notzughebel, der das STOL-Flugzeug unmissverständlich als Schleppmaschine outete, ein kleinerer Zughebel mit dazugehöriger Kupplung an der rechten Trittstufe verriet eine Vergangenheit mit Bannerschlepp.

Uhrenladen

Der Motor satt und gesund mit 300 Stunden Rest, die Zelle 2000 Flugstunden alt. Die Bereifung mit einseitiger Altersglatze, aber sonst noch recht gut beieinander. Als störend wurde allerdings empfunden, dass die rechte Tankanzeige - entgegen besseren Wissens - auf halb voll stand; unabhängig davon, wieviel Kraftstoff im Tank schwappte. Ebenso verfügte die Maschine zwar über zwei Headphone-Ports, jedoch kein Intercom - allgemeines Hören ja, Sprechen und Verstehen nur für den linken Sitz. Aber macht ja auch Sinn - nur am linken Knüppel prangte ein Mikrofonknopf!

Dass auch nur die linke Seite mit Bremspedalen ausgestattet ist, macht den Wechsel der Verantwortlichkeiten etwas schwieriger: von rechts kann zwar gestartet, geflogen und auch gelandet werden - nur muss der linke Mann dann das Bremsen übernehmen. Das geht auch - sofern man es ihm vorher sagt und nicht erst, wenn beide Insassen mit großen Augen hektisch auf das Begrenzungslicht zeigen, dass da gerade mit einiger Geschwindigkeit unter der rechten Tragfläche zu verschwinden droht. Nach erfolgtem Vertrautmachen wird noch mal vollgetankt, damit es dann auch in den nächsten Tagen bald losgehen kann. Das Rollen der Morane mit Motorkraft ist eine recht einfache Sache, vorausgesetzt, dass der Motor auch anspringt.

Vor dem Start

Bereits der erste Versuch, das betriebswarme Aggregat nach dem Tanken durchzudrehen, wird vom Anlasser nur mit müdem Brummen verrichtet, nach einer dreiviertel Umdrehung ist dann ganz Schluss. Masseschluss? Batterie platt? Wir hoffen inständig auf Letzteres und beschließen, das Kraftpaket über Nacht an die Strippe zu hängen. Trotz alledem wird die Mühle anderntags nicht anspringen, und erst ein weiteres Laden über Nacht bringt den nötigen Anlass-Strom; aber auch die Gewissheit, dass ein neuer Sammler beschafft und vor dem Trip montiert werden muss. Da wir mittlerweile heftiges Reisefieber haben, und die meteorologische Situation in der darauffolgenden Woche nicht besser, sondern eher schlechter werden soll, beschliessen wir für Freitagmorgen den Aufbruch.

Tag 1

Von Helmut, dem Flugbetriebsleiter des Ganderkeseeer Betriebes fortwährend mit aktuellen Strecken-TAFs und METARs versorgt, führt unser erstes Leg nach Damme: der dortige LTB hält eine neue Batterie für uns bereit, die bitter nötig ist: das eingebaute Exemplar ist tatsächlich am Ende und verspricht bestenfalls Ärger auf der Strecke. Wir starten um 10:00 Uhr aus Ganderkesee und gehen auf Südkurs zur Autobahn: Arbeitshöhen um 1200 Fuss bei 8° Celsius und Wetterbesserung nach Süden hin. Nach Umbau der Batterie und Übernahme von 20 Litern AVGAS, die Tanks bis zum Kragen voll, soll es nach Meschede gehen. Und hier, keine Stunde nach unserem Start, fällt die erste Fehlentscheidung, die uns fast zur Aufgabe zwingen wird: Meschede liegt in den Hügeln, und die sollten wir besser meiden.

Eins der vielen Häusermeere

Nach anfänglicher Wetterbesserung quellt die Bewölkung immer schöner empor und die Sichten werden immer besser, nur steigt das Gelände gleichsam mit der Wolkenuntergrenze an. Unser Flug führt uns entlang schöner Bundesstraßen über kleine Anhöhen und Städtchen, aber leider nicht in größere Höhen. Hinter Meschede - der Flug soll bis nach Pirmasens führen, wo Tausch der Aufgaben, Refuel und Flugplanaufgabe für Frankreich geplant ist - liegt die Bewölkung schon fast auf den Bergen auf. Die verlockende Vorstellung, on top zu gehen und in Pirmasens durch blaue Löcher wieder ins untere Stockwerk zu gelangen, werden verworfen: Sebastian ist sehr dafür - ich aber sehr dagegen!

Was, wenn die Bewölkung auf der Strecke zu hoch fürs topping ist, wir aber nirgendwo herunterkommen? Wir bauen über die Flugleitung Meschede Verbindung nach Pirmasens auf, um zu erfahren, wie dort die Situation ist. Rückmeldung Pirmasens: Clouds and Visibility OK. Sebastian verlangt zumindestens den Versuch - ich bleibe hart: zurück nach Meschede. Landen, Tanken, Telefonieren: was tun? Einzige Möglichkeit: Ausflug nach Norden, wo wir hergekommen sind, dann westlich abbiegen, um durchs Rheintal südwärts zu kommen. Gesagt, getan: zwischen zwei kräftigen Schauern starten wir, schleichen in Mindestflughöhe nach Norden durch die Hintertür aus der Küche und biegen ins bessere Wetter ab.

Köln

Langen Info nimmt uns in die Arme und erlaubt den Flug auf der linken Seite des Rheins durch alle Kontrollzonen: einmal werden wir kurz an Köln Tower übergeben, die ebenfalls nichts gegen unsere Anwesenheit einzuwenden haben: Kleinflugzeuge sind uns bisher noch kein einziges begegnet. Die Route führt uns quer über die Innenstadt von Köln - der Dom liegt 2000 Fuss tiefer direkt unter uns dunkel im Häusermeer. Das Wetter ist gut fliegbar, geschlossene Wolkendecke in 4500 Fuss, Flugsicht gefühlte 50 oder mehr Kilometer. Wir überschlagen den weiteren Weg nach Pirmasens: südwestlich ab hier, durch die Ramsteiner ED-R und direkt an die französische Grenze.

Pustekuchen: die Ramsteiner ED-R ist immer aktiv, da geht nix. Dann direkt über den Platz, östlich an der Beschränkung vorbei! Langen übergibt uns an Ramstein, dort empfängt uns ein freundlicher Brite: \"Delta EchoAlphaHotelFox, cleared to enter, decend to 2000 Feet and maintain heading, report entering airspace.\" Okay, machen wir gern - nur liegen die Hügel um uns dann fast auf gleicher Höhe. Im Funkverkehr wird\'s hektisch: ein Learjet späht nach uns, erfolgreich, und kreuzt wenige Meilen vor uns unseren Weg steil nach oben. Ein Hubschrauber zieht links von uns durch, ein weiterer Learjet dreht ins Final - alles unter uns und um uns. Wir reporten Entering und Midfield Crossing und werden auf 3000 Fuss gehoben: von hier aus macht was ihr wollt! Freundlich verabschiedet ziehen wir unseren Weg nach Pirmasens weiter. Mittlerweile steht die Sonne deutlich tiefer und wir überschlagen den weiteren Weg: Pirmasens, Tanken, Flugplan, Frankreich - Grenoble.

Vor Meschede

Pirmasens liegt tatsächlich im blauen Loch; der Flugleiter ist angetan von unserem Vorhaben, hilft uns mit gutem Rat - der Ausblick vom Tower nach Westen aber wiegt schwer: das versprochene Tiefdruckgebiet drückt von Nordwest herein, und die abziehende Front liegt noch im Weg nach Grenoble. Alles erfreut sich der Windstille, die besonders der Drachenflieger, der hier schön seine Platzrunden schrubbt, den ganzen Tag schon nutzt. Nur leider uns ist das sehr unangenehm: ein wenig Wind hätte die Wolken aus dem Weg geschoben. So aber blicken wir in einen dunklen Schlund, der sich über den ganzen Horizont zieht. Nur mit viel Fantasie sind hellere Stellen an der Kimm zu interpretieren; oder spiegelt da nur eine Autobahn? Wir geben uns einen Ruck: die Zeit drängt, der Flugplan muss \'raus. Keine zwei Minuten später Rückruf von der Flugsicherung: wie war das Kennzeichen? So so, kein Problem, war etwas unleserlich. Und ob wir wüssten, dass wir in die Nacht kämen? Man wollte es nur erwähnen...

Wir gucken uns an: los jetzt, keine Zeit zu verlieren. Wir müssen hier weg, wollen wir nicht drei Tage Zwangsurlaub in Pirmasens machen. Ich rolle zum Start, der Flugleiter öffnet unseren Flugplan, Vollgas - Start nach Frankreich. Saarbrücken kann uns über Funk schon von Anfang an nicht wirklich aufnehmen - wir rufen Frankreich: radar contact confirmed, please squawk 7040. Machen wir. Und schlagartig wirds schlecht. Die Sicht geht dramatisch zurück, wir können diese Höhe nicht mehr halten und gehen auf 2000 Fuss runter. Mir ist nicht wohl dabei - wenn wir den Kontakt zur FIS verlieren, schicken die am Ende noch jemanden los, uns zu suchen, die kleinen „Boches“ in ihrem Blecheimer.

Französische Bodenakrobatik

Aber wir fliegen immerhin eine französische Maschine, ich erwarte deshalb ein Mindestmaß an gutem Willen. Nur das Wetter wird immer schlechter. Wir sinken auf auf 1800 Fuss, das Gelände steigt unter uns leicht an, im Funk ist scheinbar schon seit Stunden niemand mehr zu hören. Es wird langsam dunkel. Ich rufe FIS, ob man uns noch auf dem Schirm hat. FIS meldet radar contact. Mittlerweile schätze ich unsere ground clearance über den Hügeln auf nurmehr 500 oder 600 Fuss. Unter uns ärmliches, französisches Landleben. Ein schmutziger Hof, eine Strasse, ein Feldweg. Dazwischen Äcker und Felder, bisweilen in dreckiges Weiß geschwemmt: Schnee. Die Aussentemperatur fällt deutlich, es wird fusskalt. Wir umfliegen die ersten Dunstschleier, zwischen uns und dem Schnee und den kahlen Wäldern zieht Nebel auf.

Ich wühle in unseren Karten, Sebastian fliegt die Maschine. Mittlere Geländehöhe, unsere Flughöhe, der Ausblick auf die nächsten dunklen Hügel im Dunst: das geht alles nicht zusammen. Ich blicke Sebastian an: das schaffen wir nie. Der Strich auf der Karte ist so lang wie mein ganzer Unterarm, das Gelände steigt immer weiter an, und die Dunstschleier werden immer dichter. Wir schlagen mittlerweile Haken um die fetten, nassen Dampfwolken; Regen prasselt auf die Scheibe. FIS ruft - are you still monitoring? DeltaEchoAlphaHotelFox affirm, altitude 1800 Feet, QNH 1012. Ich blicke auf die Aussentemperaturanzeige: 6 Grad. Das Gespenst der Vergaservereisung grinst mich an und Regentropfen ziehen auf der Plexiglaskanzel an meiner Seite vorbei. Ich male mir aus, dass unser Ansaugkrümmer gerade genau so viel Wasser schluckt und bilde mir bereits rauen Motorlauf ein. CarbHeat on. Drehzahl geht leicht zurück.

Perpignan

Ich blicke Sebastian an, der schüttelt mit dem Kopf. Ruhig bleiben. CarbHeat off. Kurshalten in diffusem Abendlicht. Diskussion mit Sebastian: ich lege ihm dar, dass wir\'s nicht nach Grenoble schaffen werden - er ist für probieren. Ich mag aber nicht. Nur ein Stückchen noch, dann biegen wir ab und landen irgendwo zwischen. Ich mag immer noch nicht. Dann Funkspruch von FIS: Besancon meldet Wolkenuntergrenze 2000 Fuss, Runway 20 in Betrieb, Wind 5 Knoten aus sonst wo. Soll dass ein Wink mit dem Zaunpfahl sein? Wir haben mittlerweile die Instrumentbeleuchtung angeschaltet und es ist völlig unübersehbar: wenn wir hier nicht bis in die Dunkelheit durch die Landschaft irrlichtern wollen, werden wir jetzt bald irgendwo landen müssen.

Beratung mit Sebastian: Flugplan schließen, diverten nach Besancon. Also Abbruch. Er nickt heftig, legt die Maschine auf die Seite und ich melde unser Vorhaben. Der Flugplatz ist mittlerweile geschlossen, wir wollen aber trotzdem runter. Ich bekomme von FIS noch eine Telefonnummer, wo wir unsere Landung melden können und kurze Landeinfo. Der Platz empfängt uns voll beleuchtet – wie schön! Queranflug, Endteil, sanftes Abfangen - die Vorflügel springen raus und wir setzen auf. Bei einer der Hallen ist noch Licht, da ist auch die Tankstelle - da rollen wir hin. Mittlerweile ist es wirklich düster und wir erkennen kaum mehr die Beschilderung der Rollwege. Zwei freundliche Franzosen von der dortigen Flugschule empfangen uns und bieten Wettercheck und Mitnahme in die Stadt an. Das wird gern angenommen, wir sind nun langsam auch bereit für ein wenig Ruhe. Wir checken ins IBIS ein und gehen in Besancon essen - danach fallen wir tot ins Bett.

Flugvorbereitungen in Besancon

Wir schlagen um acht Uhr die Augen auf und spähen nach draussen: alles liegt im Dunst. Also noch mal umgedreht und eine weitere halbe Stunde gedöst. Mein nächster Blick vors Fenster lässt mich blinzeln: weiße Wolkenfetzen vor blauem Himmel! Frühstück und Taxifahrt zum Flugplatz, danach Unterredung mit dem dortigen Flugleiter: tanken können und wollen wir, nur werden wir belehrt, dass wir dies ausserhalb der Servicezeiten zu tun gedenken und deshalb mit EUR 87 Wochenendzuschlag belegt werden. Was bei uns zu Hause nicht nur unüblich, sondern geradezu empörend wäre, wird uns hier als völlig selbstverständlich erklärt. Die Jungs gestern Abend hatten uns dringend angeraten, in Valence zu tanken - da sei der Sprit billiger. Aha, deshalb also. Wir gucken uns an, rechnen, zweifeln, rechnen wieder.

Jetzt rächt sich die Nachlässigkeit mit der Tankuhr: ich habe zwar nach alter Schule immer schön nach Uhrzeit umgeschaltet, aber gestern haben wir zum Schluss Zeit gutmachen müssen und dehalb höhere Leistung gesetzt - also mehr Kraftstoff verbraucht. Wieviel schwapppt da jetzt noch in den Tanks? Ich überlege kurz, dass die Extrakosten vermutlich an jedem Platz anfallen und deshalb ohnehin irgendwo zu entrichten sind, Sebastian hält dagegen, dass wir - in Valence mit Sprit versorgt - ohne weiteren Stop nach Girona kämen. Stimmt. Mir aber ist immer noch komisch dabei. Er argumentiert weiter, dass wir in kräftigen Rückenwindgenuss kommen, da der Mistral deutlich und konstant schiebt. Nach meiner Rechnung haben wir 25 Minuten Reserve; das erscheint mir nach der gestrigen Erfahrung verdammt wenig - mit gemischten Gefühlen haue ich mit der Hand auf den Tisch und verkünde: gut, dann nächster Tankstop Valence.

Kräftiger Talwind vor Valence

Der Flugleiter haut ebenfalls mit der Hand auf den Tisch und macht sich daran, Flugplan zu faxen und Wetter einzuholen. Nach sehr ausführlichem Wetterbriefing und pre-flight check sitze ich also wieder auf dem linken Sitz und blicke prüfend auf die vielgestaltigen Anzeigen: rechter Tank etwas über halb voll, linker Tank immer halb voll. Gestern sind wir zwei Mal aus dem Rechten und zwei Mal aus dem Linken geflogen, auf der schönen Fliegeruhr immer brav mitgestoppt. Bei 35 Litern Verbrauch pro Stunde sind das 70 l aus dem Gesamtvorrat, verbleiben also zwei Stunden Flugzeit plus 30min Reserve. Sebastian winkt ab: \"Reicht fast bis nach Spanien!\". Optimist! Er prägt irgendwann die Devise \"Ein Pessimist ist ein Optimist mit Erfahrung\" und meint damit natürlich mich – mich, den ewigen Zweifler. Aber nur Mut!

Nach dem Abheben Wechsel der Aufgaben, er fliegt von rechts und ich navigiere und funke. Über Bourg und Lyon führt uns der Weg immer weiter südlich, der Mistral reißt uns förmlich an die Küste; die Groundspeed beträgt manchmal über 140 Knoten. Links von uns ragen majestätisch die Alpenausläufer auf, Grenoble muss da irgendwo drin liegen. Hätten wir ja nie geschafft! Nach kaum etwas über einer Stunde verlassen wir die Infofrequenz und rufen Valence - dort jedoch ist Mittagspause und daher nur air-to-air-Funkverkehr anzutreffen. Der Äther ist voll von französischer Quatscherei; der ortsansässige Segelflugverein macht F-Schlepps und hat sich eine Menge zu erzählen. Dazwischen kündigt eine andere Maschine low approach und overshoot an, wir gehen mid-field quer über den Platz und fädeln uns von da in den left downwind zur 10 ein. Direkt über dem Platz rauscht dann eine Cirrus keine 200 Fuss unter uns durch und holt weit zur 10 aus.

Guten Mutes

Ich peile die Schwelle an und rechne mir aus, dass ich - so ich denn kurz reinlande - schon an der ersten Zuwegung raus kann; eigentlich die Zuwegung zur 10 am Anfang der Runway. Also mal knapp rein- und schön kurz rausrollen. Ich überfliege ganz flach die Schwelle und komme derart kurz, dass ich nach dem Aufsetzen sogar noch mal Gas nachschieben muss, um nicht schon auf der Bahn zum Stehen zu kommen. Kein Wunder: der Mistral, der unser Flugvorhaben so freundlich verkürzt hat, hat auch meine Landestrecke mit 30 Knoten headwind ganz erheblich verkürzt. Wir rollen zur Tanke und ich steige aus und begrüße kurz den holländischen Cirrus-Piloten, der so knapp unter uns durchgeschrammt ist - wir hatten uns in Sicht und so war alles OK. Trotzdem sind wir beide der Meinung, jenes wäre nicht zwingend wiederholungsbedürftig. Lachen, auf die Schulter klopfen. Haudegen unter sich.

Alles bestens - nur tanken können wir hier vorerst nicht. Der Platz liegt in tiefster südfranzösicher Mittagsruhe. Sebastian packt die Abenteuerlust und er stiefelt los, den Segelfliegern nebenan die frohe Kunde unseres Besuches zu überbringen. Ich erkunde ein wenig die Umgebung: am Ende der Hallen ein Stück Grün, auf dem eine alte, zerfledderte Einmot-Frachtmaschine vom Typ Broussard aufgebockt der staunenden Umwelt zur Schau gestellt wird (hat sie nicht verdient, auch wenn sie – gemäss Überlieferungen - eine recht widerliche Ziege und schwer zu landen war). Unterwegs lese ich einen Franzosen auf, der mich auf einen Kaffee in das Restaurant direkt daneben einlädt und wir tauschen Fliegergeschichten aus: er ist damals bei der Armee de l\'Air geflogen und betreibt jetzt noch Segelflugsport.

Fast geschafft: das Mittelmeer und die Pyrenäen

Da ich länger nichts von Sebastian gehört habe, überfällt mich ein schlechtes Gewissen, und ich lasse Ihm eine Nachricht im Flugzeug. Vor Ablauf einer Stunde bekommen wir hier ohnehin kein Benzin. Kurz bevor mein Milchkaffee ausgetrunken ist, massiert mir jemand von hinten grinsend die Schultern: Sebastian hat bei den Segelfliegern die Herausgabe von 140 Litern Sprit erwirkt - auch ganz ohne Wochenend-Zulage! Da sage mal einer, Segelflieger wären keine eingeschworene Gemeinde! Derart gestärkt könnten wir starten - nur müssen wir noch den Flugplan aufgeben. Da der Tower immer noch verschlossen und die französische Flugsicherung irgendwie nicht erreichbar ist, rufen wir FS Deutschland an und geben tatsächlich unseren Flugplan von Valence aus telefonisch in Frankfurt auf - nach zwanzig Minuten Abflug mit Eröffnung unseres Flugplanes bei Montpellier Information: \"Yes, that is affirmative, we have your flightplan. Pls confirm your final destination Girona in Spain?\" Yep, da wollen wir hin.

Nun beginnt der schönste Teil des Fluges: strahlend blauer Himmel mit kaum 3/8el Cumulies in reichlich 6000 Fuss, in der Ferne glitzert die Mittelmeerküste, die Sonne steht bereits tiefer, unter uns zieht Landschaft mit südländischem Flair hindurch. Immer mehr Grundstücke mit blauen Schwimmbädern im Garten, vor uns die Pyrenäen, hinter uns das Rhone-Becken, links von uns das blaue Meer. Obschon streckentechnisch unsinnig, biegen wir ein wenig nach links vom Flugweg ab: so führt unser Weg dann in Küstennähe über das Meer. Bald werden wir von den Franzosen nach Spanien übergeben, steigen auf 6000 Fuss und melden uns bereits in Girona. Die Spanier sind hektisch, wirken verwirrt: wo wir seien, nach Girona for landing? Erstmal sollen wir auf 4000 Fuss sinken. Ich bedeute Sebastian, dass wir im Prinzip bereits einen langen Sinkflug einleiten können, denn Girona ist nicht mehr weit, und so requesten wir uns bis auf 3000, dann 2500 Fuss herunter.

Ankommen dank moderner Technik

Immer wieder wollen die Towerlotsen wissen, wo wir sind; der Grund ist naheliegend: man holt gerade eine ganze Korona von 737ern der Ryan Air herunter, die in dem großen Talkessel um den Flughafen wimmeln. Wir fliegen eine selbstgewählte Platzrunde, biegen vor den Bergen westwärts ab und kündigen - mehr oder weniger ungebeten - den Einflug ins Base an. Von da an interessiert die Spanier nochmal unsere Höhe und genaue Position, als wir bereits die Landefreigabe bekommen. Aus 2500 Fuss orgeln wir auf Platzhöhe herunter und setzen die Maschine sauber und vorsichtig direkt neben einen Taxiway, auf den wir flugs entkommen: uns sitzen zwei weitere Ryans im Nacken. Ein Follow-Me kommt mit Vollgas herangedroschen und bringt uns zur Abstellfläche; von da an interessiert sich niemanden mehr für uns.

Wir blicken uns mit einer Mischung aus Euphorie und Ratlosigkeit an: das wars wohl, god dammned, we fucking did it! Aber jetzt schon alles vorbei? Wir sind doch gerade erst los. Und jetzt - letzte Landung, Motor aus und von unserer Hand niemals mehr gestartet? So ists - alles hat mal ein Ende. Sebastian hat recht: für den Beginn einer großen Liebe zu einem Flugzeug braucht es nur zwei Tage und zehn Flugstunden. Unseren Weg durchs Terminal finden wir selbst; Landegebühr und Abstellflächenmiete will man vorerst nicht von uns kassieren - diese wäre erst bei Abflug fällig. Man wüsste ja noch gar nicht, wie lange wir blieben, nicht wahr? Entwaffnende Einfachheit. Mir ist wohler, wenigstens eine Ahnung von den Kosten zu haben - Schulterzucken bei der Flughafenbediensteten: so zehn, zwölf Euro vielleicht?

Ankommen dank moderner Technik Teil 2

Damit endet vorerst unser fliegerisches Abenteuer und wir machen uns auf den Weg in die Stadt. Das Wetter ist abendsonnig und leicht bewölkt, die Temperaturen laden fast zum draussen-sitzen ein und uns verlangt es nach Tapas und Bier! Wir checken in ein wunderschönes, altertümliches Gasthaus aus dem 15ten Jahrhundert ein und setzen uns erstmal auf den Mini-Balkon: hier entpacke ich zwei dicke, grüne Kubaner und Sebastian steuert mitgebrachten Selbstaufgesetzten bei: wir flätzen uns auf die Stühle und paffen die Zigarren! Irgendwann geht gegenüber eine Balkontür auf und ein Spanier fragt uns amüsiert, ob er ein Foto machen dürfe: two german guys smoking big cigars. Na klar - dann mal los!

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