Ereignisreicher Nachtflug

12.11.2009 RK
Cockpit Instruments AVRO (Foto: Robert Kühni)
Cockpit Instruments AVRO (Foto: Robert Kühni)

Flug in einer Winternacht von Düsseldorf nach Genf. Die Maschine war gerade mal drei Wochen im Betrieb. Solche kleinere Produktionsfehler kommen in den besten Familien vor, so schreiben wir nicht, um welchen Flugzeugtyp es sich dabei gehandelt hat.

Was mit einem nagelneuen Passagierflugzeug so alles passieren kann, können Sie in diesem Erlebnisbericht nachlesen. Flug in einer Winternacht von Düsseldorf nach Genf. Die Maschine war gerade mal drei Wochen im Betrieb. Solche kleinere Produktionsfehler kommen in den besten Familien vor, so schreiben wir nicht, um welchen Flugzeugtyp es sich dabei gehandelt hat.

Erlebnisbericht, Linienflug von Düssledorf nach Genf

Nach der gründlichen Aussenüberprüfung des Flugzeuges, in der Fachsprache nennt man dies den Aussencheck, betrete ich das Cockpit unserer Verkehrsmaschine, wo mein Copilot Pascal sämtliche Vorbereitungsarbeiten für den Rückflug nach Genf bereits erledigt hat. Ich nehme auf dem linken Pilotensitz Platz und Pascal liest mir das aktuelle Wetter vor. Hier in Düsseldorf liegt die Temperatur leicht über dem Gefrierpunkt, eine dunkle Winternacht mit tief hängenden Wolken, aus denen diesiger Schneeregen auf das Flugfeld nieselt. Der Wind hat sich nach dem Durchzug der Kaltfront leicht beruhigt und bläst nun aus Nordwesten mit einer Geschwindigkeit von zehn Knoten. Wir besprechen mit welcher Klappenstellung wir starten wollen, damit Pascal die korrekten Geschwindigkeiten in das Flug Management System eingeben kann. Die nette Dame von der Lufthansa Bodenabfertigung betritt das Cockpit um uns zu informieren, dass die Passagiere mit dem Bus unterwegs seien und in wenigen Minuten beim Flugzeug eintreffen werden. Der Copilot fragt über Funk bei der Bodenkontrolle für die Routenfreigabe nach Genf. Der Flugverkehrsleiter erteilt uns die Freigabe für die Abflugroute in Richtung Nörvenich, gibt uns die erste Steigflughöhe und den Transponder Code an. Wir überprüfen im Navigationscomputer die Abflugroute und die weiteren Wegpunkte, die uns über Aachen, Lüttich, Luxemburg, Basel und Bern direkt auf die Westpiste in Genf führen wird. Als die Passagiere bei unserem Flugzeug eintreffen, verabschiede ich mich von Pascal, um zusammen mit meiner Kabinenbesatzung die Fluggäste zu begrüssen. Nach dem letzten Passagier ziehe ich mich wieder ins Cockpit zurück. Ich unterschreibe den Ladeplan, gebe das Original dem Copiloten und die Kopie der Dame von Lufthansa, die sich anschliessend von uns verabschiedet. Die Kabinenchefin meldet die Passagierzahl und wir geben ihr das okay, die Türen zu schliessen. Pascal fragt bei der Bodenkontrolle für die Freigabe zum Anlassen der Triebwerke.

Short Final in München

Aus dem Lautsprecher tönt: „Swissair 509 you are cleared to start, call next for taxi“. Ich verlange die Checkliste um die Motoren anzulassen und nach etwa drei Minuten sind wir bereit zum Wegrollen. Der Flugverkehrsleiter weist uns an hinter der Boeing 737 von Lufthansa zum Pistenanfang 23 zu rollen. Der Copilot liest die Freigabe zurück und sagt im gleichen Atemzug zu mir, ich könne die Bremse lösen, die „Lufti“ rolle soeben bei uns hinten vorbei. Ich löse die Bremse, winke kurz dem Bodenpersonal zu und schon sind wir weg. Während des Rollens verlange ich die nächste Checkliste, die wir Punkt für Punkt abhaken. Über die Lautsprechanlage begrüsse ich die Passagiere und erläutere auf Deutsch, Französisch und Englisch, warum es zu der Verspätung von etwa dreissig Minuten gekommen ist. Nach meiner Ansage kommt schon die Aufforderung der Bodenkontrolle: „Swissair 509 contact Tower on 118.3, tschüss ich wünsche einen schönen Flug“. Pascal schaltet die Frequenz um und bestätigt dem Turm, dass wir startklar sind. Zum Glück herrscht noch kein starker Anflugverkehr und wir dürfen nach der nächsten Maschine, die etwa zwei Meilen vom Pistenanfang entfernt ist, auflinieren. Die LTU Maschine schwebt ein und landet. Ich löse die Bremse, gebe Schub und rolle auf die Westpiste 23 in Düsseldorf. Während der Checklistenarbeit überprüfe ich noch einmal alle Triebwerkparameter, schalte den Wetterradar ein um einen Blick in die Zukunft zu werfen. Der Radar zeigt ein paar Gewitterzellen, die wir durch die geplante Linkskurve nach Süden elegant umfliegen werden. Nun schallt aus den Kopfhörern: „Swissair 509 wind 290 degrees 20 knots you are cleared for take off, wünsche einen guten Flug die Herren“.

Boeing 777

Nach dem Readback schiebe ich die Schubhebel auf Startleistung und die Maschine fängt an zu beschleunigen, bei dem Ausruf 80 Knoten lasse ich die Bugradsteuerung los und übernehme die Flugsteuerung, das Flugzeug wird immer schneller, bei dem Ausruf „V 1, V rotate“ ziehe ich sanft an dem Steuer um die Maschine kontinuierlich auf etwa 20 Grad zu rotieren, gleichzeitig kommt von mir das Kommando: „positive rate of climb gear up“ , Pascal betätigt den Fahrwerkhebel um die Räder einzuziehen. Der Copilot wechselt auf die Abflugfrequenz und meldet sich beim Radarcontroller. Nach exakt 4, 5 Meilen, als wir das Funkfeuer DY überfliegen, weise ich den Copiloten an den Kurs auf Süden einzustellen und die Navigation auf das computergesteuerte Navigationssystem aufzuschalten. Nun übergebe ich das Flugzeug an Pascal. Er wird heute den Airliner nach Genf pilotieren. Bei etwa 500 Fuss über Grund tauchen wir bereits in die unfreundliche Wettersuppe ein. Ab und zu müssen wir bei der Flugsicherung einen Kurswechsel anfordern, um den eingelagerten Gewitterzellen auszuweichen. Nach etwa fünfzehn Minuten erreichen wir unsere Reiseflughöhe von 9500 Metern, auf dieser Höhe ist man im Winter in der Regel immer über der Wolkendecke, so auch heute. Gelegentlich erleuchten helle Blitze die Wolkentürme unter uns, sie verraten die aktive Wetterfront, die wir in ruhigen Luftschichten überfliegen. Über uns liegt ein leuchtend, klarer Sternenhimmel. Ich höre bereits über Luxemburg in das aktuelle Wetter von Zürich und Genf. In Zürich schneit es leicht, in Genf hat der Niederschlag aufgehört, dafür hat der Wind auf der Rückseite der Kaltfront stark aufgefrischt. Ich bereite Pascal schonend darauf vor, dass er in Genf vor dem Abendtrunk noch ein wenig Arbeit vor sich habe und gebe ihm die letzten Windzahlen durch. Zum Glück schneit es bei diesem böig auffrischenden Wind aus Nordwesten nicht.Über Basel erhalten wir von Zürich eine Abkürzung direkt zum Funkfeuer Fribourg. Pascal bittet mich das aktuelle Wetter von Genf aufzuschreiben. Nach zwei Minuten bin ich wieder zurück und orientiere ihn über die aktuelle Wettersituation, der garstige Wind bestätigt sich und der Anflug wird durch den Ausfall des Instrumentenlandesytems noch zusätzlich erschwert. Pascal macht nun das Anflug - Briefing für einen VORDME Anflug, der auf dem Funkfeuer von Genf basiert. Ein solches Anflugverfahren ist für uns Piloten anforderungsreicher, weil wir die Höhe kontinuierlich nach den Angaben auf den Anflugkarten selber kontrollieren müssen. Über Bern frage ich Genf für die Freigabe zum Sinkflug an. Genf erwidert: „Swissair 509 cleared flight level 210“. Ich schraube während dem „Readback“ den Drehknopf für die Höhe auf 21’000 Fuss und Pascal leitet mit einem Knopfdruck am Autopiloten den Sinkflug ein. Ich informiere die Passagiere und die Kabinenbesatzung, dass wir in etwa zwanzig Minuten landen werden. Das Wetterradar zeichnet in der Region von Romont eine tief rote Gewitterzelle, für die nächsten zehn Meilen verlangen wir bei der Flugsicherung einen Kurs von 320 Grad um später direkt auf das letzte Einflugfunkfeuer bei Lausanne einzudrehen. Bei 23\'000 Fuss verabschieden wir uns von dem Sternenhimmel und stechen in die unwirtliche Wolkenschicht ein. Es rumpelt leicht, das ist das beste Zeichen, dass die Kaltfront immer noch aktiv ist und in vielen Regionen in unserem Land Schnee bringt. Über St. Prex erreichen wir auf 8’000 Fuss den Endanflug.

Cockpit A320

Der Flugverkehrsleiter weist uns an die Geschwindigkeit bis acht Meilen vor Genf auf 250 Knoten zu halten. Die Turbulenzen machen sich noch nicht bemerkbar, trotzdem bin ich froh, dass die Kabinenchefin ins Cockpit kommt um uns mitzuteilen: „cabine and gally secured, ich wünsche euch eine gute Landung“, sie schaut uns noch ein wenig über die Schultern um die prächtige Sicht über den Genfersee zu geniessen. Bei 5000 Fuss reissen die ersten Turbulenzen an unserem Flugzeug und Christine verabschiedet sich mit einem freundlichen Lächeln, um in der Kabine Platz zu nehmen. Bei acht Meilen beginnt Pascal das Flugzeug auf 200 Knoten abzubremsen und verlangt die Landeklappen auf Stellung eins zu fahren. Unvermittelt wird die konzentrierte Ruhe in unserem Cockpit durch ein schrilles Glockengeläut unterbrochen, das ganze Cockpit ist wie ein Christbaum beleuchtet. Der Schreck währt nur kurz, ich frage Pascal trocken: „Siehst du das gleiche wie ich?“ Er erwidert ganz verdattert: „Right engine fire, perfom by heart items“. Ich bestätige mit einem Fingerdruck auf die rote Warnlampe die Feuerwarnung. Die Feuerglocke hört auf zu schrillen, unverzüglich geht meine Hand zu dem rechten Schubhebel und ich sage: „Confirm thrust lever“, Pascal antwortet nach einem kurzen Kontrollblick: „Right thrust lever confirmed“, ich nehme den Schub auf Leerlauf zurück und schalte das Triebwerk ab. Nun wandert mein Blick zum Overheadpanel und ich greife nach dem rot leuchtenden Feuergriff, um ihn nach dem gleichen Vorgehen wie beim Schubhebel zu ziehen und den ersten Feuerlöscher auszulösen. Kurzer Druck auf die Stoppuhr und nun läute ich unverzüglich die Kabinenchefin über die Bordsprechanlage an. Sie meldet sich mit ihrem Namen. Ich frage ob sie am rechten Triebwerk etwas Abnormales beobachte? Christine erwidert: „Nein, ich sehe und fühle, dass das rechte Triebwerk abgestellt ist“. Erleichtert unterrichte ich sie, dass wir das Triebwerk aus Sicherheitsgründen abstellen mussten und etwa in zwei Minuten in Genf landen werden. Ich informiere sie zudem, dass wir das Flugzeug nach der Landung nicht evakuieren werden. Nach dreissig Sekunden, als immer noch alles rot leuchtet, betätige ich den zweiten Feuerlöscher und bespreche die Situation mit Pascal, damit ich den Flugverkehrsleiter situationsgerecht informieren kann. Ich funke dem Tower und teile ihm mit, dass wir infolge einer Feuerwarnung das rechte Triebwerk abschalten mussten. Ich bitte ihn die Feuerwehr zu alarmieren, falls bei der Landung etwas schief gehe. Nun gilt meine volle Aufmerksamkeit wieder dem Flugzeug, Pascal hat die Höhe verschlafen und ich kommandiere unverzüglich: „My controls“, und übernehme das Steuer. Pascal war sichtlich erleichtert, dass er die Maschine bei diesem ruppigen Wind auf nasser Piste, nunmehr nur noch einmotorig nicht landen muss. Aus dem Kopfhörer schallt: „ Swissair 509 wind 260 degrees 15 knots gust up to 25 knots you are cleared to land runway 23“. Trotz böigem, ruppigem Wind schwebt unser Flugzeug stabil der Piste zu, ich schalte den Autopiloten aus und übernehme die Maschine von Hand, sie lässt sich fliegen wie im Simulator. Mit Genugtuung stelle ich fest, dass sie mit einem Triebwerk genau so schön und sauber fliegt wie mit zwei Motoren. Der rasch wechselnde Wind ist mit sanften Korrekturen gut auszugleichen, nun kommen die callouts vom Computer: „50, 40, 30, 20, 10“ ein leichter Zug am Steuer und die Maschine setzt sanft auf der Westpiste in Genf auf, ganz normal abbremsen und was weniger normal ist, auf der Piste das Flugzeug nach der Landung zu stoppen. Die Feuerwehr kommt mit vier grossen Löschfahrzeugen mit Blaulicht angefahren. Bei uns im Cockpit verlöscht die Feuerwarnung und die Anspannung löst sich. Meine Vermutung, dass es sich um einen Fehlalarm handelte, bestätigte sich als die Feuerwehr das Triebwerk von außen inspiziert. Erleichtert rollen wir zum Gate und alle Passagiere können wohl behalten das Flugzeug verlassen.

Nach den Formalitäten mit den Sicherheitsbehörden und der korrekten Übergabe der Maschine an unsere Wartung fahren wir ins Hotel. Wir gönnen uns den wohlverdienten Schlummertrunk an der Hotelbar und tauschten uns noch ein wenig über das Erlebte aus. Nach einem erlebnisreichen Tag suchte ich um Mitternacht mein Hotelzimmer auf und viel rasch in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen, als ich zum Frühstück kam, erzählte mir Pascal, dass ein anderer Flugkapitän ihn gefragt hatte, ob er wisse, was gestern in Genf passiert sei? Sie mussten bereits dreißig Minuten vor dem Flughafen Genf in die Warteschleife einfliegen, weil der Flughafen für etwa zwanzig Minuten geschlossen wurde. Pascal erzählte dem Kollegen von unserem Erlebnis. Der meinte auf die Schilderung, dass ihm dies bis heute glücklicherweise nur im Simulator passiert sei.

Erlebnisbericht: Robert Kühni, Fotos: Boeing, Airbus, Dokumentation.

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