Bristol Type 72 Racer
Bristol Type 72 Racer, Land: Grossbritannien Mit dem blitzschnellen Rennflugzeug wollte man den Geschwindigkeitsrekord für lange Zeit nach Grossbritannien holen. Die dornigen Flugversuche machten den Bristol Type 72 Racer zum glücklosen Renner. Spannweite: 7,67 m, Länge: 6,58 m, Geschwindigkeit: 265 km/h.
1921 beendete Bristol erfolgreich die Arbeit an seinem neuen luftgekühlten Neun- Zylinder Sternmotor Jupiter IV, der mit 436 PS Startleistung zu den leistungsfähigsten Motoren der damaligen Zeit zählte. Was lag also näher, den neuen Motor in ein Spezialflugzeug zu bauen und damit zu versuchen, den nationalen Geschwindigkeitsrekord für Flugzeuge anzugreifen. Für die geplante Maschine wurde durch Erhöhung der Drehzahl die Startleistung sogar auf 480 PS erhöht. Also begann man im November 1921 unter der Leitung von Wilfrid Thomas Reid bei Bristol Aeroplane Company in Filton mit der Entwicklung eines Rennflugzeuges, bei dem man die neuesten Erkenntnisse aus Aerodynamik und Technik einfließen lassen wollte. Der Entwurf war so radikal anders, dass sein unerhörtes Design bei den britischen Flugzeugbauern nur ein Lächeln erzeugte, man war eben auf die verspannte Doppeldeckerauslegung in Gemischtbauweise mit festem Fahrwerk fixiert. Die eigentliche Konstruktion begann im Januar 1922, selbst bei Bristol erzeugte der Entwurf Kopfschütteln und Unverständnis. Die Maschine war nämlich als Eindecker mit freitragenden Tragflächen, die von den Flügelwurzeln Ausrundungen zum Rumpf hin hatten, einem völlig verkleidetem Motor, einem aerodynamisch gestalteten Rumpf in Halbschalenbauweise und einem einziehbarem Heckspornfahrwerk ausgelegt. Aerodynamisch hatte man sich der Tropfenform angenähert, die für niedrigste Widerstandswerte stand und so für ein Rekordflugzeug besonders geeignet schien. Ähnliche Gedanken führten übrigens später in den Vereinigten Staaten zur Entwicklung der berühmten Gee Bee Rennflugzeuge der Gebrüder Granville.
Hauptkonstruktionsmerkmale Bristol Type 72 Racer
Der Rumpf war eine Halbschalenkonstruktion, wobei zwei Hauptspanten, die aus je drei Schichten Sperrholz mit einer Stahlverkleidung bestanden, die tragenden Hauptelemente darstellten. Der vordere kreisrunde Spant trug die Motoraufhängung und war gleichzeitig als Brandschott zum Mittelrumpf. Gleichzeitig trug er die Befestigungen des vorderen Tragflächenholms und des formenden Nasenholms des Tragflügels. Der zweite Hauptspant, der ebenso wie der erste aufgebaut war, trug die Befestigungen des hinteren Hauptholms. Die restlichen Rumpfspanten waren einfache Holzringe, die mit Stahldrähten, Fahrradspeichen ähnelnd, verspannt waren. Die gesamte Rumpfkonstruktion verfügte über keine Längsträger. Die Rumpfverkleidung bestand aus dreilagigem Sperrholzformteilen aus Rosenholz. Diese Sperrholzelemente waren diagonal über die Spanten angebracht und bildeten die selbsttragende Außenhaut des Rumpfes. Direkt hinter dem hinteren Hauptspant befand sich eine kleine Öffnung im Rumpf, unter der sich auf einem Zwischenboden der Sitz des Piloten, das Armaturenbrett und die Bedienelemente befanden. Zur Verbesserung der Sicht ragte der Kopf des Piloten aus der Rumpfkontur heraus, deshalb war vorn eine zweiteilige Windschutzscheibe angebracht, während zum Heck hin eine strömungsgünstige Verkleidung montiert war. Die beiden Hauptholme waren durch Sperrholzrippen mit einander verbunden, die zusätzlich mit Stahldrähten diagonal verspannt waren. Hinter dem Pilotensitz befand sich der Kraftstofftank, während der hinter dem Ölkühler im oberen Rumpfbug untergebrachte Schmierstoffbehälter zwischen den beiden Hauptspanten eingebaut war. Der Motor war mit einer engen Blechhaube verkleidet und der zweiblättrige Propeller trug einen großen, der Rumpfkontur angepassten Spinner aus Blech, der nur einen schmalen Spalt zwischen der festen Motorhaube und seiner Hinterkante ließ indem sich der Propeller drehte. Vorn hatte der Spinner eine kreisrunde Öffnung, durch die zusätzliche Kühlluft zu den Zylindern gelangte. Das glockenförmige Seitenleitwerk war eine freitragende Holzkonstruktion, die mit Sperrholz verkleidet war und über den Rumpfboden hinweg ging. Am unteren Ende war der stählerne Hecksporn befestigt, der mit einer Schraubenfeder gedämpft war. Das stoffbespannte Seitenruder besaß keine Trimmung und mittels Seilzügen bewegt. Die Höhenflossen waren ebenfalls freitragende, sperrholzverkleidete Holzkonstruktionen, die auffallend klein ausgefallen waren. Die Höhenruder waren stoffbespannte Holzkonstruktionen und besaßen ebenfalls keine Trimmung. Die Tragflächen waren dreiholmig ausgeführt, die beiden hölzernen Hauptholme und ein Nasenholm, der die Tragflächenvorderkante bildete. Die Holme waren durch Rippen aus Sperrholz verbunden, die die dreilagige Sperrholz-Außenhaut trugen. Das Tragflügelprofil war sehr dünn ausgelegt. Die Tragflächen verfügten über eine extreme V-Stellung und waren ursprünglich freitragend. Die Querruder gingen über die ganze Flügellänge und waren stoffbespannt. Das Hauptfahrwerk war, für die damalige Zeit ungewöhnlich und revolutionär, mittels einer Handkurbel und einem Kettentrieb einziehbar. Zwar bedeutete es für den Piloten Schwerstarbeit das Fahrwerk mit der linken Hand hochzukurbeln, aber die Widerstandsreduzierung wirkte sich stark auf die zu erzielende Höchstgeschwindigkeit aus. Die gebogenen Hauptfahrwerksstreben waren aus Stahl geschmiedet und wurden in den unteren Rumpf eingezogen, wobei die Haupträder in den aufgedickten Flügelwurzeln verschwanden.
Dornige Flugerprobung des Bristol Type 72 Racer
Im Juni 1922 war die Maschine fertiggestellt und erhielt einen glänzenden roten Anstrich. Am 27. Juni 1922 bekam die Maschine die offizielle zivile Kennung G-EBOR zugeteilt. Da man mit der Maschine noch am Aerial Derby 1922 teilnehmen wollte, wurde die Startnummer 10 in weißer Farbe beidseitig auf die Seitenleitwerksflosse gepinselt. Inzwischen hatte man bei Bristol die ersten Standläufe durchgeführt und mußte feststellen, daß der Spinner enorme Schwingungen erzeugte, die trotz verschiedener Verstärkungen nicht zu beseitigen waren. Auch hatte man keinen positiven Einfluß auf die Kühlung des Motors feststellen können. Da sich der Spinner gerade beim Umbau befand erhielt er keinen roten Farbanstrich. Anfang Juli, das genaue Datum ist nicht nachweisbar, startete Captain Cyril Uwins mit dem Racer zum Erstflug. Kaum war die Maschine nach schier endlosem Rollen in der Luft gaben die freitragenden extrem dünnen Tragflächen nach und begannen zu schwingen. Dadurch kam es zu einer Ruderumkehr, das bedeutete, die Maschine war in einem unkontrollierbaren Flugzustandgeraten. Durch ganz sanftes verwenden aller Ruder gelang es Captain Uwins jedoch eine flache Kurve zu fliegen und wieder sicher zu landen. Zur Stabilisierung der Tragflächen wurden diese jetzt mit je zwei profilierten Stahldrähten oben und unten gegen den Rumpf verspannt. Beim zweiten Flug ließ sich der Racer auch besser steuern und Captain Uwins begann mit dem Steigflug als ein lauter Knall ertönte und die Windschutzscheibe zerbarst. Uwin vermutete, dass ein Zylinder geborsten sei, aber der Motor lief ruhig weiter und die Steuerung funktionierte auch noch, lediglich die Geschwindigkeitsanzeige war ausgefallen. Nach der Landung stellte man fest, dass sich der Spinner wegen einer Unwucht gelöst und dabei die Windschutzscheibe und auch Teile der linken Tragfläche mit dem Staurohr zerstört hatte. Den dritten Flug führte man dann ohne Spinner aus, wobei das Flugzeug normal flog, lediglich durch den hohen Luftwiderstand des Triebwerks nicht die errechnete Geschwindigkeit erreichte. Die Querruder reagierten sehr träge auf die Steuerbewegungen und die notwendigen Steuerkräfte waren sehr hoch. Erneut begann man die Maschine umzubauen, mittels mehrerer Exzenter wurden die Steuerseile gespannt und so die Steuerknüppelwirkung verstärkt. Am Boden funktionierte das System zufriedenstellend, aber beim nächsten Flug klemmten die Exzenter die Steuerseile total fest, so dass wieder eine gefährliche Situation entstand. Nach glücklicher Landung wurden die Exzenter wieder entfernt und die Steuerseile nun über vorgespannte Rollen geführt. Gleichzeitig kürzte man die Querruder um 40 Prozent ihrer ursprünglichen Länge. Ein neuer Spinner war zwischenzeitlich gebaut worden, der einem Kegelstumpf ähnelte und mit Drähten zu seiner Mittelachse verspannt war und auf dem Propellerkopf aufgesetzt und verschraubt wurde. Zusätzlich verfügte er über kleine Schaufeln, die die Kühlluft zum Motor leiten sollten. Damit wurden weitere drei Flüge durchgeführt, wobei es aber wieder zu Schwingungen kam.
Erfolgloses Rekordflugzeug Bristol Type 72 Racer
Schließlich brach man das ganze Projekt Mitte 1923 ab. Insgesamt hatte der Racer sieben Flüge durchgeführt mit einer Gesamtflugzeit von knapp vier Stunden. Bei zwei Flügen war das Hauptfahrwerk ein- und ausgefahren worden. An Wettbewerben hatte die Maschine nicht teilgenommen und der Geschwindigkeitsrekord wurde auch nicht angegriffen. Auf Wunsch Captain Uwins sollte die Maschine zur Motorerprobung weiter verwendet werden. Man stellte sie erst im Hangar ab, bis sie aber Ende 1924 wegen Platzmangels dann doch verschrottet wurde.
Technische Daten: Bristol Type 72 Racer
Verwendung: Rekordflugzeug
Triebwerk: ein luftgekühlter Neun-Zylinder Sternmotor Bristol Jupiter IV mit festem Zweiblatt-Holz-Propeller
Startleistung: 480 PS (353 kW)
Dauerleistung: 390 PS (287 kW) in 4.000 m
Besatzung: 1 Pilot
Erstflug: Anfang Juli 1922
Spannweite: | 7,67 m |
Länge: | 6,58 m |
größte Höhe: | 2,66 m |
Spannweite Höhenflosse: | 3,06 m |
Propellerdurchmesser: | 2,75 m |
Propellerfläche: | 5,94 m² |
Spurweite: | 2,26 m |
Flügelfläche: | 14,0 m² |
V-Form: | +9° |
Flügelstreckung: | 4,20 |
Größter Rumpfdurchmesser: | 1,78 m |
Flügeltiefe: | 2,06 m |
Flügeldicke: | 0,254 m |
Raddurchmesser: | 0,64 m |
Leermasse: | 990 kg |
Startmasse normal: | 1.400 kg |
Tankinhalt: | 260 Liter |
Flächenbelastung: | 100,0 kg/m² |
Leistungsbelastung: | 2,92 kg/PS (4,22 kg/kW) |
Höchstgeschwindigkeit in Bodennähe: | 220 km/h |
Höchstgeschwindigkeit in 3.500 m: | 265 km/h |
Marschgeschwindigkeit in 3.500 m: | 180 km/h |
Landegeschwindigkeit: | 120 km/h |
Gipfelhöhe: | 6.000 m |
Steigleistung: | 8,0 m/s |
Steigzeit auf 1.000 m: | 2,2 min |
Steigzeit auf 3.000 m: | 8,0 min |
Reichweite normal: | 360 km |
Reichweite maximal: | 440 km |
Flugdauer: | 2 h |
Text: Eberhard Kranz