Ikarus 451
Die Ikarus 451 hätte ein zweimotoriger Sturzkampfbomber werden sollen, es blieb jedoch bei dem Versuchsträger.
Ikarus 451
Nach dem Ende des ersten Weltkriegs entstand auf dem Balkan nach Zerfall von Österreich-Ungarn und des Osmanischen Reichs aus deren Teilen Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Dalmatien und Makedonien in Verbindung mit Serbien das neue Königreich Jugoslawien. Dort entwickelte sich mit staatlicher Förderung, man suchte ab 1923 per Ausschreibung einheimische Firmen, die sich dem Flugzeugbau zuwenden wollten, eine nationale Luftfahrtindustrie, die beginnend mit Lizenzbauten deutscher, französischer und englischer Modelle bald auch eigene Konstruktionen, vorwiegend Militärflugzeuge, entwickelte und fertigte und damit die jugoslawische Luftwaffe ausrüstete. Genannt seien hier nur die einmotorigen Jagflugzeuge Ikarus IK-2 und IK-3, der Aufklärer Ikarus Orhan, das Erdkampfflugzeug Rogozarski R 313, das Wasserflugzeug Rogozarski SIM.XIV, sowie die Schulflugzeuge Ikarus MM-2 und Rogozarski Brucos. 1940 befand sich außerdem bei Ikarus mit der IK-5 ein zweimotoriger Jäger in der Entwicklung, der mit einer geplanten Höchstgeschwindigkeit von 640 km/h eines der schnellsten Flugzeuge der Zeit geworden wäre. Der Prototyp stand kurz vor der Fertigstellung und wurde beim deutschen Einmarsch von Werksangehörigen zerstört. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war man in Jugoslawien unter der Führung Titos entschlossen, eine neutrale Politik zu betreiben, um sowohl von der Sowjetunion und dem Warschauer Pakt als auch von den USA und der NATO unabhängig zu sein. Dies galt im Prinzip auch für die militärische Ausrüstung der Volksbefreiungsarmee. Deshalb war der Wiederaufbau der jugoslawischen Luftfahrtindustrie von enormer Bedeutung, da diese einen großen Teil des benötigten Flugzeugmaterials entwickeln und herstellen sollte. Ab dem Frühjahr 1940 hatte man sich bei Ikarus mit der Entwicklung eines zweimotorigen Sturzkampf- und Schlachtflugzeuges, der B-5, beschäftigt, nachdem man die Erfolge der Ju 87 im Einsatz gegen Polen und in Westeuropa gesehen hatte. Der Prototyp war fertiggestellt gewesen, durch den Einmarsch der deutschen Wehrmacht kam er aber nicht mehr zum Fliegen. Die Lehren aus dem Einsatz der deutschen Sturzkampfbomber Ju 87 und der sowjetischen Schlachtflugzeuge Il-2 führten in der inzwischen verstaatlichten Flugzeugfabrik Ikarus zur Bildung der Gruppe 9 der GDWI (Generaldirektion der Luftfahrtindustrie) unter der Leitung von Major Dragosljub Bešlin, die sich mit der Entwicklung eines neuen Konzepts für solch ein Flugzeug intensiv beschäftigen sollte. Dragosljub Bešlin hatte sich bereits vor dem Krieg mit der Entwicklung von Hochleistungsflugzeugen beschäftigt und war verantwortlicher Projektleiter der B-5 gewesen.
Als Grundlagen für das neue Flugzeug nahm man folgende Aspekte an:
- Um den hohen Beschleunigungskräften im Sturzflug und beim Abfangen aus dem Sturzflug von mindestens 9 g ohne Beeinträchtigung für den Piloten zu widerstehen, sollte der Pilot auf dem Bauch liegend die Maschine fliegen, später sollte ein Anti-G-Anzug den Piloten zusätzlich schützen
- Das Flugzeug sollte so klein und so leicht wie nur möglich sein, um erst sehr spät für die Bodenluftabwehr sichtbar zu werden und möglichst über eine sehr kleine Stirnfläche verfügen
- Das Flugzeug sollte zweimotorig sein, um auch nach Ausfall eines Triebwerks, durch Beschuss zum Beispiel, flugfähig zu bleiben und zur Ausgangsbasis zurückkehren zu können.
Ein erstes Versuchsflugzeug wurde gebaut
Um praktische Erfahrungen zu sammeln, entwickelte das Team um Bešlin ab Dezember 1945 einen Erprobungsträger mit der Bezeichnung Ikarus 232 Pionyr, ein winziges zweimotoriges Flugzeug. Es war als zweimotoriger Tiefdecker mit kreisrundem zigarrenförmigen Rumpf, trapezförmigen Tragflächen, einem Normalleitwerk und einziehbarem Heckradfahrwerk ausgelegt. Die Spannweite betrug lediglich 5,65 m und die Länge 3,95 m. Als Antrieb waren zwei luftgekühlte hängende Vierzylindermotoren Walter Mikron III mit je 65 PS (47,8 kW) eingebaut. Der Pilot war auf dem Bauch liegend untergebracht. Im Prinzip war das Maschinchen um den liegenden Piloten herum gebaut. Das winzige Flugzeug war eine Ganzmetallkonstruktion. Im Frühjahr 1947 war die 232 fertig und im Juni 1947 startete sie zu ihrem Erstflug. Dabei zeigte sich, das das Flugzeug durchaus von einem liegenden Piloten geflogen werden konnte, allerdings konnten keine Sturzflüge durchgeführt werden, lediglich leichte Bahnneigungsflüge bis 30 Grad wurden erreicht, bei steileren Winkeln begann die gesamte Konstruktion zu schwingen und zu flattern. Außerdem stellte sich die Motorenleistung als deutlich zu schwach dar. Die Versuche wurden nach dem achten Testflug abgebrochen.
Konstruktionsmerkmale der Ikarus 451
Inzwischen hatte man mit dem Bau der ähnlich aufgebauten, aber größeren und stärker motorisierten 451 begonnen. Wie die 232 war das Flugzeug in Ganzmetallbauweise ein zweimotoriger Tiefdecker mit Normalleitwerk und einziehbarem Heckradfahrwerk. Der kreisrunde, zigarrenförmige Rumpf war als Halbschalenkonstruktion aus Spanten und Stringern aufgebaut und mit Leichtmetallblechen verkleidet. Nach vorn war er mit einer geteilten Plexiglaskuppel abgeschlossen, durch die der liegende Pilot nach oben und unten freie Sicht hatte, während das seitliche Blickfeld durch die beiden weit vorragenden Motoren stark eingeschränkt war. Seitlich befanden sich noch zwei große Plexiglasfenster und oben in der Einstiegsklappe befanden sich noch zwei kreisrunde Scheiben. Die Einstiegsklappe war seitlich nach rechts wegklappbar und ermöglichte den Piloten den Einstieg in die Maschine. Über dem durch den Unterrumpf durchgehenden Tragflächenmittelstück war die gepolsterte Liegeschale für den Piloten angebracht. Die Steuerung erfolgte durch zwei seitlich auf Höhe seines Kopfes angebracht Steuerhebel mit denen er die Ruder bedienen konnte. Die Gashebel für die beiden Motoren befanden sich ebenfalls seitlich der Liegeschale. Vor sich hatte der Pilot auf dem kreisrunden Kabinenspant das ebenfalls kreisringförmige Armaturenbrett mit den Anzeigegeräten. Seitlich vor sich waren noch je eine Konsole mit den verschiedenen Schaltern angebracht. Der Waffenhebel befand sich links auf Augenhöhe. Zum Abstützen des Kopfes war eine verstellbare gepolsterte Auflage für das Kinn des Piloten vorhanden. Unter dem Rumpfvorderteil auf Höhe der Tragflächenvorderkante waren in zwei tropfenförmigen Verkleidungen die beiden 13 mm Maschinengewehre MG 131 mit je 100 Schuss eingebaut, die starr nach vorn durch die Propellerkreise schossen. Zusätzlich war zwischen den beiden MG Gondeln noch eine Aufhängung für eine 100 kg Sprengbombe angebracht. Die zweiholmige Tragfläche war dreiteilig aufgebaut und bestand aus einem kurzem fest mit dem Rumpf verbundenen Tragflächenmittelstück und den beiden trapezförmigen Außenflügeln. Die Tragfläche in Schalenbauweise war ebenfalls eine Ganzmetallkonstruktion, lediglich die Querruder und die Landeklappen waren stoffbespannt. Die Querruder, die von den Motorgondeln bis zu den flachen Randbögen reichten, hatten je eine elektrisch verstellbare Trimmklappe aus Leichtmetall. Die Bremsklappen befanden sich von den Motorgondeln bis zum Anschluss der Außenflügel an das Tragflächenmittelstück. In diesem war der Kraftstofftank untergebracht, der ein Volumen von lediglich 72 Litern aufwies. Unter den Tragflächen befanden sich auf jeder Seite noch zwei Aufnahmepylonen für Kassetten mit ungelenkten Raketen oder je eine lenkbare Panzerabwehrrakete. Die Lenkung der Raketen sollte der Pilot übernehmen. Die beiden hängenden luftgekühlten Sechszylinder-Reihenmotoren Walter Minior 6/III standen weit vor der Tragflächenvorderkante und trieben zwei feste Zweiblatt-Holzpropeller an. Durch den großen Überstand befanden sich die Propeller vor dem Rumpf und die beiden Propellerkreise hatten nur einen Abstand von 26 cm, was sich beim Ausfall eines Triebwerks günstig auf die Flugeigenschaften und das Flugverhalten auswirkte. Die Motorgondeln, die in einen spitzen Steiß hinter der Tragflächenhinterkante ausliefen, nahmen das Hauptfahrwerk auf, das hydraulisch nach Hinten ein- und ausgefahren wurde. Die Federbeine waren mit ölhydraulischen Stoßdämpfern ausgerüstet und die Räder wurden hydraulisch gebremst. Das nachlaufende feste Spornrad war ungebremst. Das dreieckige Seitenleitwerk war ebenfalls eine Ganzmetallkonstruktion, lediglich das Seitenruder, das über einen Hornausgleich verfügte, war stoffbespannt. Das Höhenleitwerk befand sich am unteren Teil der Seitenleitwerksflosse und war durchgehend. Die beiden Höhenleitwerksflächen wurden durch je eine I-Strebe zum Rumpf hin abgestützt. Die Ruder verfügten über je eine verstellbare Trimmklappe aus Ganzmetall, waren selbst aber stoffbespannt.
Flugerprobung des Ikarus 451
Im Juli 1951 war der erste von zwei geplanten Prototypen fertiggestellt und eine ausgiebige Bodenerprobung begann. Besonders die liegende Position des Piloten musste erprobt werden. Am 22. September 1951 startete der erste Prototyp zum Jungfernflug, der ohne nennenswerte Probleme verlief, lediglich die Sicht bei Start und Landung, sowie Schwingungen, die von den beiden Triebwerken herrührten, wurden beanstandet. Die Steuerkräfte wurden ebenfalls als sehr hoch bewertet, da kein Kraftverstärker vorhanden war. Es wurden insgesamt 16 Versuchsflüge durchgeführt, worunter auch Sturzflüge waren, bei den 8,5-9g gemessen wurden. Der für den Piloten vorgesehene Anti-G-Anzug war noch nicht vorhanden und sollte aus der Sowjetunion importiert werden, was aber nie erfolgte. In der weiteren Erprobung traten dann, im Gegensatz zum 25-minütigen Erstflug, doch massive Probleme auf, die den Zustand des Piloten betrafen. Die Atmung war in der Bauchlage erschwert, besonders bei den Bahnneigungs- und Sturzflügen, was bis zur massiven Atemnot mit Bewusstseinsstörungen führte. Auch war es schwierig die Maschine auf einem geraden Kurs zu halten, da die Arme sehr schnell ermüdeten, ebenso kam zu Durchblutungsstörungen in den Beinen. Inzwischen war der zweite Prototyp am 26. Februar 1952 zu seinem Erstflug gestartet. Man erkannte schnell, dass die liegende Position des Piloten für die geplante Verwendung als Kampfflugzeug unmöglich war. Deshalb wollte man zur normalen sitzenden Position zurückkehren, was eine komplette Umkonstruktion des Rumpfes bedeutet hätte. Auch schien der Kolbenmotorantrieb bereits veraltet zu sein.
Nun folgte ein Flugzeug mit Strahlantrieb
Man begann deshalb, bereits ab Dezember 1951, die Möglichkeit der Umrüstung der 451 für die Verwendung zweier leichter Strahltriebwerke Turbomeca Marbore II mit je 3,91 kN Schub (399 kp) zu untersuchen. Im Sommer 1952 begannen dann die Konstruktionsarbeiten für das neue Flugzeug mit Turbinenantrieb und sitzender Position des Piloten. Die neue Maschine erhielt die Bezeichnung 451M und es wurden zwei Prototypen gebaut. Zum Serienbau kam es, wie bei der 451 nicht. Je ein Exemplar der Ikarus 451 und 451M sind erhalten geblieben und können im Luftfahrtmuseum in Belgrad besichtigt werden.
Technische Daten: Ikarus 451
Land: Jugoslawien
Verwendung: Versuchsflugzeug für Sturzkampf- und Erdkampfverwendung
Triebwerk: zwei luftgekühlte hängende Sechszylinder-Reihenmotoren Walter Minor 6/III mit festen Zweiblatt-Holz-Propellern und elektrischen Anlassern
Startleistung: je 160 PS (118 kW)
Dauerleistung: je 125 PS (92 kW) bei 2.300 U/min in 3.500 m
Baujahr: 1951
Besatzung: 1 Mann
Erstflug: 22. September 1951
Abmessungen:
Spannweite: 6,70 m
Länge: 4,66 m
größte Höhe: 2,32 m
Spannweite Seitenleitwerk: 2,15 m
Propellerdurchmesser: 1,70 m
Propellerfläche: 2,27 m²
Spurweite: 3,66 m
Radstand: 3,18 m
Flügelfläche: 8,10 m²
V-Form der Außenflügel : +5,5°
Flügelstreckung: 5,54
Massen:
Leermasse: 985 kg
Startmasse normal: 1.107kg
Startmasse maximal: 1.255 kg
Tankinhalt: 72 Liter
Schmierstofftank: je 8 Liter
Flächenbelastung: 154,94 kg/m²
Leistungsbelastung: 3,92 kg/PS (5,33 kg/kW)
Leistungen:
Höchstgeschwindigkeit in Bodennähe: 318 km/h
Höchstgeschwindigkeit in 4.500 m: 335 km/h
Marschgeschwindigkeit in 3.800 m: 275 km/h
Landegeschwindigkeit: 115 km/h
Gipfelhöhe: 4.750 m
Steigleistung: 9,8 m/s
Steigzeit auf 1.000 m: 1,75 min
Steigzeit auf 4.500 m: 9,5 min
Reichweite normal: 258 km
Reichweite maximal: 320 km
Flugdauer: 1 h
Startstrecke: 220 m
Landestrecke: 300 m
Kraftstoffverbrauch bei 180 km/h: 32 Liter pro Triebwerk
Kraftstoffverbrauch bei 275 km/h: 38 Liter pro Triebwerk
Bewaffnung zwei 13 mm Maschinengewehre MG 131 mit je 100 Schuss sowie fünf Aufhängepylonen unter Rumpf und Tragflächen für leichte Bomben, Kassetten mit ungelenkten Raketen und lenkbaren Panzerabwehrraketen
Bombenlast: maximal 200 kg
Eberhard Kranz