A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner

01.11.2014 EK
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A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner, Land: Kanada Die berühmte Flugzeugfabrik A.V. Roe baute das zweite Verkehrsflugzeug mit Strahltriebwerk, die Maschine wurde wegen unglücklicher Umstände von keiner Fluggesellschaft beschafft, auch als Frachter wollte man den Jet nicht verwenden. Spannweite: 29,90 m, Länge: 25,12 m, Geschwindigkeit: 804 km/h.

Im Dezember 1945 erwarb die traditionelle britische Flugzeugbaufirma A.V. Roe Ltd. die kanadische Firma Victory Aircraft LTD. in Malton in der Nähe von Toronto, Ontario, die während des Krieges die viermotorige Avro Lancaster in Lizenz hergestellt hatte. Die kanadische Luftverkehrsgesellschaft Trans-Canada-Airlines (TCA) suchte für ihre Linien nach den Vereinigten Staaten und für die innerkanadischen Strecken ein Nachfolgemodell für die verwendeten DC 3. Sie wandte sich mit ihren Vorstellungen an die neugegründete A.V. Roe Canada Ltd., die nach dem Auslaufen der militärischen Produktion ebenfalls an zivilen Aufträgen interessiert war. Die Grundidee der TCA war ein zweimotoriges Ganzmetallflugzeug mit Propellerturbinenantrieb und einer Kapazität von 36 Fluggästen. Ausgangsbasis der neu zu entwickelnden Maschine war die Avro 688 Tudor, ein viermotoriges Verkehrsflugzeug, das am 14. Juni 1945 seinen Erstflug absolviert hatte und für die BOAC entwickelt worden war. Der Präsident der TCA Jim Bain hatte im Rahmen einer Reise nach Großbritannien Gelegenheit, bei Rolls Royce, wo er eigentlich die Propellerturbinentriebwerke ?Dart?, die für das projektierte TCA Flugzeug vorgesehen waren, besichtigen wollte, die in der Entwicklung befindlichen Strahltriebwerke Avon zu sehen. Nach der Rückkehr nach Kanada wollte er zwei Rolls Royce Avon anstatt der geplanten PTL Triebwerke für die C.102. In enger Zusammenarbeit zwischen den Entwicklungsingenieuren von A.V. Roe Canada und TCA wurde das Flugzeug spezifiziert und am 09. April 1946 unterzeichnete man den Vertrag zur Entwicklung des ?Jetliners?. Das Flugzeug war ein Ganzmetall-Tiefdecker mit kreisrundem Rumpfquerschnitt in Schalenbauweise, trapezförmigen Tragflächen, die in ihrem Mittelstück die beiden Rolls Royce Avon aufnahmen und einem Normalleitwerk, wobei das Seitenleitwerk relativ hoch am Seitenleitwerk angebracht war. Das Fahrwerk sollte ein einziehbares Bugradfahrwerk sein.

A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Folgende Leistungsdaten wurden vertraglich festgelegt

Anzahl Passagiere: 36 Passagiere, später auf bis zu 50 erweiterbar
Reisegeschwindigkeit: 684 km/h
Maximale Reichweite: 1.900 km
Durchschnittliche Entfernung der Zwischenstopps: 400 km
Maximale Entfernung der Zwischenstopps: 805 km
Kraftstoffreserve: 45 Minuten Flug bei 30 km/h Gegenwind
Startlaufstrecke: 1.200 m
A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Abgemachter Festpreis war nicht zu halten TCA steigt aus

Es wurde ein Festpreis von kanadischen Dollar 350.000 pro Maschine bestimmt. Avro Canada verpflichtete sich für drei Jahre, keiner anderen Fluggesellschaft die C.102 zu verkaufen. Sollte nach dieser Zeit das Flugzeug billiger verkauft werden, hatte Avro Canada die Differenz zum Festpreis an TCA zu zahlen. Während der Erprobung hatte Avro Canada alle Betriebskosten zu übernehmen, auch wenn reguläre Tickets durch TCA verkauft werden. Bereits im Frühjahr 1947 teilte der Chef von Avro Canada Fred Smye dem neuen Präsidenten der TCA, Herbert J. Symington mit, dass der vereinbarte Festpreis nicht zu halten sei und forderte Neuverhandlungen. TCA kündigte daraufhin den Ausstieg aus dem Vertrag an. Hintergrund für diesen Schritt könnte die erfolgreiche Übernahme der ersten beiden Canadair ?North Star?, einer modernen kanadischen Variante der DC 4, die mit vier Rolls Royce 12 Zylinder Reihenmotoren Merlin ausgerüstet war und später als DC 4M bezeichnet wurde, in den Liniendienst der TCA gewesen sein. Somit hatte die TCA bereits das geforderte Flugzeug, um ihre DC 3 zu ersetzen, ohne sich der risikoreichen Erprobung eines neuen Antriebs und eines neuen Flugzeugs mit unbekannten Leistungen und Eigenschaften auszusetzen. Der kanadische Wirtschaftsminister C.D. Howe hatte aber die Wichtigkeit der weiteren Entwicklung der C.102 erkannt und bewilligte 1,2 Millionen Canada Dollar zur Fortsetzung des Projektes. Im Sommer 1947 teilte Rolls Royce Avro Canada mit, dass mit einer Zulassung des Nene Triebwerks für eine zivile Verwendung vorerst nicht zu rechnen sei und dies auch seitens der britischen Regierung nicht erwünscht sei. Als Alternative könnten nur die leistungsschwächeren Rolls Royce Derwent 5 angeboten werden, die über eine zivile Zulassung verfügten. Jetzt trug die TCA plötzlich neue Forderungen an Avro Canada heran, die Reisegeschwindigkeit sollte nun bei 800 km/h liegen und der Treibstoffverbrauch müsste deutlich gesenkt werden. Außerdem wollte die TCA nicht die erste Fluggesellschaft der Welt sein, die einen Düsenjet einsetzte. Das Entwicklungsteam unter Chefkonstrukteur James C. Floyd gab nicht auf und schnell hatte man ermittelt, dass die Verwendung von vier Derwent Triebwerken den Verlust von etwa 25 Prozent Leistung bedeuten würde, lediglich der Kraftstoffbedarf lag um 20 Prozent höher, was sich bei der Nutzlast bemerkbar machen würde. Die Verwendung von vier Triebwerken erhöhte allerdings auch die Sicherheit, das Problem des asymmetrischen Schubs bei Ausfall eines Nene Triebwerks reduzierte sich bei der Verwendung von vier Triebwerken signifikant.

A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Hauptkonstruktionsmerkmale des Jetliners

Ab Herbst 1947 begann man mit dem Bau des ersten Prototypen. Der Rumpf war für den Einbau einer Druckkabine vorgesehen und verfügte über einen Waschraum, eine Toilette und eine Bordküche. Besonderen Wert hatte man auf die Schalldämmung gelegt. Die Tragflächen bestanden aus einem durch den Rumpfboden gehenden Tragflächenmittelstück, das die Triebwerksgondeln trug und je einem Außenflügel. Die gesamte Konstruktion war zweiholmig aufgebaut und in Schalenbauweise ausgeführt. Die trapezförmigen Außenflügel trugen die Querruder und die als Spreizklappen ausgeführten Landeklappen. Die Triebwerke waren in einer Doppelgondel untergebracht, wobei man die Erfahrungen beim Triebwerkseinbau des deutschen Strahlbombers Arado Ar 240 C nutzte, von dem sich mehrere Exemplare als Beuteflugzeuge in Großbritannien befanden. Das Seitenleitwerk war leicht überdimensioniert und trug auf etwa halber Höhe das freitragende Höhenleitwerk. Beide Leitwerke waren Ganzmetallkonstruktionen. Das Fahrwerk bestand aus dem Hauptfahrwerk, das mit Zwillingsrädern versehen war und hydraulisch nach hinten in die Triebwerksgondeln einfuhr. Das lenkbare Bugrad hatte ebenfalls Zwillingsräder und fuhr nach vorn in den Rumpfbug ein. Alle Räder waren hydraulisch bremsbar.

A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Flugtestprogramm des A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner

Im Juli 1949 war die Maschine fertig gestellt und konnte in Mason ihre Bodentests beginnen. Die Maschine erhielt die offizielle Kennung CF-EJD-X. Am gelben Seitenleitwerk stand unter dem Höhenleitwerk: Designed and built by A.V.ROE CANADA LIMITED MALTON, ONTARIO. Die Bodenerprobung verlief ohne nennenswerte Probleme und am 10. August 1949 hob die C.102 zu ihrem Erstflug ab. Sie war damit das zweite Düsenverkehrsflugzeug das erfolgreich flog, die de Havilland DH 106 Comet war am 29. Juli 1949 zu ihrem Erstflug abgehoben. Beim zweiten Flug am 16. August fuhr das Hauptfahrwerk nicht aus und es kam zu einer Bauchlandung, wobei der Pilot die Maschine mit dem Bugrad und auf dem Triebwerksgondeln sicher und ohne größere Beschädigungen aufsetzte. Drei Wochen später waren alle Schäden behoben und das Flugprogramm konnte fortgesetzt werden. Die Maschine wurde nun verschiedenen Gremien vorgeflogen, so testeten die Royal Canadian Air Force und die US Air Force die Maschine auf ihre Verwendung als Transporter und Aufklärer, waren aber mit den Flugleistungen nicht zufrieden. Deshalb tauschte man die Triebwerke gegen stärkere Derwent 8 und 9 aus, was aber keine wesentlichen Leistungssteigerungen brachte. In Folge des sich verschärfenden Kalten Krieges hatte man bei Avro Canada bereits 1946 mit der Entwicklung des strahlgetriebenen Allwetter-Langstrecken-Abfangjägers CF-100 ?Canuck? mit den kanadischen Triebwerken Orenda 11 begonnen, diese Maschine erhielt nun durch die sich ständig verschärfende Weltlage durch den Beginn des Koreakrieges erste Priorität und so wurde die Weiterentwicklung der C.102 nur noch mit halber Kraft weiter verfolgt, während alle verfügbaren Kapazitäten in die Serienfertigung der CF 100 gesteckt wurden. Die Erprobung ging aber trotzdem weiter. Mitte 1950 wurde mit dem Jetliner zum ersten Male Luftpost von Toronto nach New York transportiert, die Flugzeit betrug 58 Minuten, die Hälfte der bisher benötigten Zeit. Da man in New York dem neuen Briefträger mit großem Misstrauen begegnete, wies man ihm einen Abstellplatz eine Meile vom Flughafengebäude zu, da man fürchtete, dass sich der Treibstoff von selbst entzünden, oder die Motoren explodieren könnten, zumal die Maschine beim Überfug seltsame Geräusche, eine Art lautes Knacken, von sich gegeben hatte.

A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Die A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner fand keine Kunden

Da für die Maschine keine Bestellungen vorlagen und es eigentlich auch kein Verkaufskonzept existierte, stoppte C. D. Howe Anfang Dezember 1951 das gesamte Jetliner Programm. Inzwischen hatte man mit dem Bau einer zweiten Maschine begonnen, die einen um 0,59 m verlängerten Rumpf erhalten sollte. Diese wurde nicht fertig gestellt, sondern sofort verschrottet. Anfang 1952 besichtigte Howard Hughes überraschend den Jetliner und bat, damit ein paar Runden fliegen zu dürfen. Er bat nach der Landung, die Maschine für mehrere Monate in Culver City, Kalifornien zu behalten und einem ausführlichen Testprogramm zu unterziehen. Er war von der Maschine begeistert und wollte dreißig Exemplare für seine TWA bestellen, um auf der stark frequentierten Strecke von New York nach Lauderdale, die Flugzeit um die Hälfte zu verkürzen. Seine Anfrage wurde von Avro Canada, nach Rücksprache bei der kanadischen Regierung abgelehnt. Da seine Hughes Aircraft aber nicht das Potential hatte, dreißig Düsenverkehrsflugzeuge in Lizenz zu fertigen, versuchte er andere amerikanische Flugzeughersteller damit zu beauftragen. Außer Convair zeigte sich aber keiner interessiert an der Maschine. Schließlich sagte auch Convair ab und so kam es zu keinem Serienbau der C.102.

A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Schicksal des A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner

Erst am 15. Juni 1954 hob das erste amerikanische Düsenverkehrsflugzeug, die Boeing 367-Model 80, die spätere Boeing 707 zu seinem Erstflug ab, fast fünf Jahre später als die C.102 Jetliner. Inzwischen hatte man die Ursachen der merkwürdigen Fluggeräusche gefunden, die Verkleidungen der Triebwerksgondeln waren zu großzügig toleriert gewesen. Die Maschine bekam eine Fotoausrüstung verpasst und begleitete damit die Flugerprobung der CF 100. Nachdem die Serienfertigung der Cf 100 lief, versprach man für 1953 eine Wiederaufnahme des Jetliner Projektes, was aber nie erfolgte. Am 10. Dezember 1956 wurde die Maschine offiziell außer Dienst gestellt und an das National Research Council überstellt. Dort entschied man binnen weniger Stunden, aus Platzgründen nur den Rumpfbug mit dem Cockpit zu erhalten. Bereits am 13. Dezember 1956 begann man mit der Verschrottung der Maschine. 1955 bestellte die Trans-Canada-Airlines TCA 51 Vickers Viscount als Ersatz für seine Canadair ?North Star?.

A.V. Roe Canada Ltd. C.102 Jetliner (Archiv: Eberhard Kranz)

Technische Daten: C.102 Jetliner

Land: Kanada und Großbritannien
Verwendung: Verkehrsflugzeug für Kurz- und Mittelstrecken
Triebwerk: vier Einwellen Strahltriebwerke mit Radialverdichter Rolls Royce Derwent 5
Startleistung: je 1.633 kp Schub (16,02 kN)
Dauerleistung: je 1.520 kp Schub in 6.000 m (14,91 kN)
Erstflug: 10. August 1949
Besatzung: 3-5 Mann , davon zwei Piloten und ein Bordingenieur
Passagiere: geplant bis zu 50

Anzahl Passagiere: 36 Passagiere, später auf bis zu 50 erweiterbar
Reisegeschwindigkeit: 684 km/h
Maximale Reichweite: 1.900 km
Durchschnittliche Entfernung der Zwischenstopps: 400 km
Maximale Entfernung der Zwischenstopps: 805 km
Kraftstoffreserve: 45 Minuten Flug bei 30 km/h Gegenwind
Startlaufstrecke: 1.200 m
Spannweite:
29,90 m
Länge: 25,12 m
größte Höhe: 8,06 m
Spannweite Höhenleitwerk: 11,38 m
Länge Triebwerksgondeln: 7,65 m
größte Tragflächentiefe: 4,36 m
Rumpfdurchmesser: 3,02 m
Kabinenhöhe: 2,08 m
Kabinenlänge: 14,0 m
Spurweite: 5,92 m
Radstand: 9,34 m
Flügelfläche: 107,49 m²
V-Form des Mittelflügels:
V-Form der Außenflügel: 4,33°
Streckung: 8,32
Massen: TBN
Leermasse: 16.738 kg
Startmasse normal: 26.835 kg
Startmasse maximal: 29.484 kg
Tankinhalt: 8.740 Liter
Nutzlast : 5.750 kg
Flächenbelastung: 274,30 kg/m²
Leistungsbelastung: 4,51 kg/kp Schub
Leistungen: TBN
Höchstgeschwindigkeit in Bodennähe: 767 km/h
Höchstgeschwindigkeit in 9.145 m: 804 km/h
Reisegeschwindigkeit in 9.145 m: 649 km/h
Landegeschwindigkeit: 196 km/h
Gipfelhöhe: 12.285 m
Steigleistung: 9,35 m/s
Steigzeit auf 1.000 m: 2,0 min
Steigzeit auf 5.000 m: 12,5 min
Steigzeit auf 9.145 m: 22 min
Reichweite normal: 2.012 km
Reichweite maximal: 2.530 km mit reduzierter Nutzlast
Flugdauer: 3,25 h

Text: Eberhard Kranz

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