Entwicklungsring Süd V J 101 C

01.11.2014 EK
EWR Süd V J 101 C

Entwicklungsring Süd V J 101 C, Land: Deutschland Bei der EWR Süd V J 101 C handelt es sich um ein deutsches Versuchsflugzeug, das zu einem überschallschnellen Senkrechtstarter hätte anwachsen sollten. Das Projekt wurde zugunsten des Tornados aufgegeben. Spannweite: 6,61 m, Länge: 15,60 m, Geschwindigkeit: 1320 km/h.

Die Achillesferse der neuen strahlgetriebenen Kampfflugzeuge der fünfziger Jahre stellten die langen, kaum zu schützenden Start- und Landebahnen dar. Gelang es dem Gegner diese im Konfliktfall zu zerstören, war der Einsatz der eigenen Maschinen nicht mehr möglich. Dieser Gefahr wollte man mit der Entwicklung neuartiger senkrecht startender Flugzeuge entgegnen. Besonders für die deutsche Luftfahrtindustrie, die seit dem Ende des zweiten Weltkrieges durch die Verbote des Potsdamer Abkommens zwangsweise lahm gelegt war und sich nur durch Lizenzbauten der Erstausrüstungsmaschinen für die neue deutsche Luftwaffe über Wasser gehalten hatte, stellten diese Überlegungen die Möglichkeit der Entwicklung neuer Konzepte und damit die Chance des entwicklungstechnischen Anschlusses an die führenden Luftfahrtnationen dar. Schon 1957 ermunterte die Bundesregierung die deutsche Luftfahrtindustrie sich über ein Flugzeug mit den Leistungen der F 104 Starfighter aber mit Senkrechtstarteigenschaften Gedanken zu machen, das nach der Wiederzulassung luftfahrt-technischer Tätigkeiten in der Bundesrepublik zu entwickeln sei. Diese Aufforderung erging an die Firmen Ernst Heinkel Flugzeugbau GmbH, die Messerschmitt AG, die Dornier Flugzeugbau GmbH und die Bölkow Entwicklungen KG. Bei Dornier winkte man sofort ab, man war bereits mit der Entwicklung und dem geplanten Serienbau der Do 27 und Do 28 beschäftigt. Die anderen drei begannen sich mit der gestellten Aufgabe zu beschäftigen und entsprechende Entwürfe zu entwickeln. Bei Heinkel entstand unter der Leitung von Siegfried Günter der Entwurf eines Entenflugzeuges mit schwenkbaren Triebwerken an Hauptflügel- und vorderen Entenflügelenden. Der Messerschmitt Entwurf von Hans Hornung wollte über Ablenkungsdüsen den Schub der vier Triebwerke für Start und Horizontalflug nutzen. Erich Haberkorn, der von SNECMA zu Bölkow gekommen war, schlug ein unbemanntes ferngesteuertes Flugzeug vor, das ähnlich dem Coleopter konzipiert war.

EWR Süd V J 101 X1 (Archiv: Eberhard Kranz)

Um Kräfte zu sparen, schlug Deutschland eine Bündelung des Wissens vor

Der Bundesregierung war aber von vornherein klar, dass sie niemals so viele Projekte vergeben werden kann, um alle Firmen auslasten zu können, deshalb gab sie bekannt, den drei Firmen den Entwicklungsauftrag für das Operationsflugzeug zu geben, falls sie gemeinsam an die Entwicklung gingen. Eine Fusion der Firmen zu einem schlagkräftigen Unternehmen schien wegen der historisch bedingten speziellen Beziehung von Ernst Heinkel und Willi Messerschmitt nicht möglich, so dass man als Lösung des Problems die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft, in der vorerst die Entwicklungsteams der Firmen zusammen arbeiteten würden, vorschlug. Die Entwicklungsgemeinschaft erhielt die Bezeichnung ?Entwicklungsring Süd? und wurde 1959 gegründet. Ihre Räumlichkeiten fanden die etwa 90 Entwickler im Bibliotheksbau des Deutschen Museums in München. Der Heinkel-Entwurf erhielt die Bezeichnung V J 101 A, der Messerschmitt-Entwurf die Bezeichnung V J 101 B und beide Teams waren damit beschäftigt, ihren Entwurf als Basis der Entwicklung zu machen. V J in der Typenbezeichnung bedeutete Versuchsjäger. Es ist Robert Lusser als Technischem Direktor zu verdanken, dass es zu einem Kompromiss zwischen beiden Entwicklungskonzepten kam. Der unbemannte Entwurf von Bölkow war sehr schnell vom Tisch, da klar war, dass die Bundesluftwaffe dieser Lösung nicht zustimmen würde. Georg Madelung von Messerschmitt schlug vor, die beiden Triebwerke, die sich beim Heinkel-Entwurf an den vorderen Entenflügelenden befanden, in den Vorderrumpf zu versetzen und das Entenflugzeugkonzept durch eine konventionelles zu ersetzen. Gleichzeitig verdoppelte er die Anzahl der schwenkbaren Triebwerke an den Tragflächenenden. Der neue Vorschlag erhielt die Bezeichnung V J 101 C und wurde als einziger ab 1960 weiter bearbeitet. Die weiteren Untersuchungen sollten sich mit der Steuerbarkeit und der Stabilität im Senkrechtflug beschäftigen und ob es möglich war diese durch Veränderung der Schubleistungen der Triebwerke, also durch Schubmodulation zu erreichen. Dazu wurden verschiedene Versuchsaufbauten konstruiert, wie eine Wippe, die vorn einen Pilotensitz hatte hinter dem ein Rolls Royce RB 108 senkrecht zur Wippenachse eingebaut war. Als nächsten Schritt beschloss man ein Schwebegestell mit drei Rolls Royce RB 108 in der Dreiecksanordnung, wie für die V J 101C vorgesehen, zu bauen, das auch ein freies Schweben ermöglichte. Nach gründlicher Erprobung und der Simulation der verschiedenen Flugzustände, war man sich sicher, das Konzept des Senkrechtstarts, wie für die V J 101C vorgesehen, realisierbar war.

EWR Süd V J 101 X1 (Archiv: Eberhard Kranz)

Konzept geht in die Umsetzung

Jetzt begann man mit der Konstruktion der Maschine musste aber bereits zu Beginn sich zu neuen Entscheidungen durchringen. Die Triebwerke Rolls Royce Rb 153 lagen in ihrem Zeitplan so weit zurück, dass das Flugzeug deutlich eher fertig sein würde. Als Ersatz bot Rolls Royce das RB 145 an, sowohl als Hub- als auch als Hub-Schub-Triebwerk, das heißt auch für den normalen Antrieb. Allerdings schaffte das RB 145 nur etwa die Hälfte der Leistung, die das RB 153 bringen sollte. Nach Rücksprache mit dem Verteidigungsministerium entschied man, vorerst zwei Versuchsflugzeuge damit auszurüsten, auch wenn die Forderung nach Überschallgeschwindigkeit damit nicht zu realisieren war. Es folgten langwierige Windkanaluntersuchungen, wobei mehrere Millionen Meßpunkte untersucht wurden, bevor die endgültige Form festgelegt wurde.

EWR Süd V J 101 X1 (Archiv: Eberhard Kranz)

Konstruktionsmerkmale der V C 101 C

Die V C 101 C war ein einsitziger Schulterdecker in Ganzmetallbauweise mit einziehbarem Bugradfahrwerk und Normalleitwerk. Sechs Triebwerke Rolls Royce RB 145, von denen vier in den beiden Triebwerksgondeln an den Flügelenden um 88 Grad drehbar angebracht waren, während zwei als reine Hubtriebwerke hintereinander im Vorderrumpf hinter der Kabine installiert waren, sorgten für die notwendige Schubkraft. Der Rumpf hatte einen ovalen Querschnitt von etwa 1,5 m², der sich nach der Flächenregel im Bereich der Tragflächen auf 1,0 m² reduzierte. Der Aufbau war ein üblicher Schalenbau mit Spanten und Längsprofilen. Die Kabine mit dem Martin Baker Schleudersitz hatte eine Breite von 1,14 m und war durch eine Hänge- oder Stehleiter zu besteigen. Hinter der Kabine waren die beiden Hubtriebwerke eingebaut, dann folgten die drei Tanks mit Fassungsvermögen von 0,55, 0,66 und 1,0 Kubikmeter. Am verstärkten Spant hinter den beiden vordersten Tanks war das in den Rumpf einziehbare Hauptfahrwerk angeschlagen. Die Tragflächen waren dreiholmig aufgebaut und mit sechs Bolzen am Rumpf befestigt. Die Außenrippen waren als komplexes Frästeil mit Beschlägen für die Zapfenverankerung zur Aufhängung der Schwenkbaren Triebwerke ausgeführt. Vier Rippen zwischen Rumpf und Außenrippen dienten der Formgebung der Torsionsaufnahme. Die Querruder und Landeklappen waren am hinteren Holm gelagert und wurden hydraulisch betätigt. Die Tragflächen waren mit Leichtmetallblechen von 1,5 mm bis 2,5 mm Stärke beplankt. Das Höhenleitwerk war eine Ganzmetallkonstruktion und wirkte als Pendelleitwerk, wobei die Winkelverstellung 12 Grad nach oben und 6 Grad nach unten betrug. Das trapezförmige Seitenleitwerk war eine zweiholmige Schalenkonstruktion, dessen Ruder ohne Gewichtsausgleich hydraulisch betätigt wurde. Die vier Marschtriebwerke waren in zwei Flügelendgondeln aus Ganzmetall, teilweise mit Stahlblech und Titan verkleidet, untergebracht. Die Schwenkbewegung von 88 Grad erfolgte durch hydraulische Zylinder im Flügel. Das Anlassen der Triebwerke erfolgte durch Hydraulikmotoren in den Gondel, die von Außen beaufschlagt wurden. Das Bugradfahrwerk war eine Messerschmittkonstruktion und verfügte an allen drei Fahrwerkbeinen über eine Öl-Luftfederung. Das Bugrad wurde hydraulisch mittels Fußpedalen gelenkt. Der Bau der ersten Versuchsmaschine X1 begann im Sommer 1962 und im Frühjahr 1963 war diese fertig gestellt.

EWR Süd V J 101 X2 (Archiv: Eberhard Kranz)

Die erste V C 101 C stürzte während der Erprobung ab

Am 10. April 1963 konnte dann in Manching das Flugzeug durch den Chefpiloten des EWR Süd, George Bright, erstmals im Schwebeflug erfolgreich in die Luft gebracht werden. Der erste konventionelle Start und die entsprechende Landung fanden am 31. August 1963 statt. Die weitere Erprobung erfolgte im Geschwindigkeitsbereich bis Mach 0,5, hier zeigten sich keine Schwierigkeiten, so dass am 20. September 1963 nach insgesamt 112 Flugminuten der erste Transitionsflug erfolgreich durchgeführt wurde. Am 29. Juni 1964 konnte bei den Geschwindigkeitssteigerungsflügen erstmals mit Mach 1,05 die Schallgeschwindigkeit überschritten werden. Am 14. September 1964 ging die Maschine bei einem Normalstart noch über der Startbahn verloren, dem Piloten G. Bright gelang es noch, sich mit dem Schleudersitz zu retten, wobei er sich aber Verletzungen zuzog. Als Absturzursache stellte man einen falsch gepolten Wendekreisel im Ausfallkreis für die Triebwerke im Geradeausflug fest. Bis zum Absturz hatte die V J 101 C X1 insgesamt 132 Flüge durchgeführt.

EWR Süd V J 101 X2 (Archiv: Eberhard Kranz)

Flugerprobung geht mit zweitem Prototyp weiter

In der Zwischenzeit war die zweite Versuchsmaschine die V J 101 C X2 (D-9518) in der Endmontage. Sie unterschied sich vom ersten Prototyp lediglich durch die mit Nachbrennern ausgestatteten Triebwerke Rolls Royce RB 145 R an den Tragflächen. Bereits im Juni 1965 konnte sie ihren ersten Schwebeflug durchführen und im August folgte der erste konventionelle Flug. Der erste Senkrechtstart mit Nachbrenner erfolgte am 10. Oktober 1965 und der erste Transitionsflug am 22. Oktober 1965. Am 21. April 1972 erreichte man 1.320 km/h im Horizontalflug in 6.000 m Höhe. Insgesamt wurden von den beiden Versuchsmaschinen 325 Flüge durchgeführt.

EWR Süd V J 101 X2 (Archiv: Eberhard Kranz)

Programmabbruch, V C 101 C endet im Museum

Inzwischen war das V J 101 Programm zur Schaffung eines VTOL Jagdflugzeuges durch die Bundesregierung am 27. Mai 1971 abgebrochen worden. Damit wurden auch die Arbeiten an der verbesserten Einsatzversion V J 101D beendet. Die Bundesluftwaffe hatte sich in Folge der Änderung der NATO Doktrin, die dem VTOL-fähigen Kampfflugzeugen keine Bedeutung mehr zumaß, als Nachfolger für die F-104G für die Panavia MRCA Tornado entschieden, bei deren Entwicklung Messerschmitt-Bölkow-Blohm eine große Rolle spielte und die Erfahrungen mit der V J 101 C einbringen konnte. Die X2 wurde noch an die Erprobungsstelle 61 Manching übergeben und steht heute in der Luftfahrthalle des Deutschen Museums in München, dort wo im Bibliotheksbau ihre Entwicklung 1959 begonnen hatte.

EWR Süd V J 101 X1 (Archiv: Eberhard Kranz)

Technische Daten: Entwicklungsring Süd V J 101 C X2

Land: Deutschland
Verwendung: VTOL-Versuchsflugzeug
Triebwerk: zwei Strahltriebwerke Rolls Royce RB 145 mit Axialverdichter ohne Nachbrenner als Hubtriebwerke und vier Strahltriebwerke Rolls Royce RB 145 R mit Axialverdichter und Nachbrenner als Hubmarschtriebwerke
Startleistung Hubtriebwerke: je 1.240 kp Schub (12,4 kN)
Leistung mit Nachbrenner: je 1.620 kp Schub (15,8 kN)
Besatzung: 1 Mann
Erstflug: 10. April 1963

Spannweite mit Triebwerksgondeln: 6,61 m
Länge: 15,60 m
Höhe: 4,13 m
Spannweite Höhenleitwerk: 2,95 m
Fläche Höhenleitwerk: 3,52 m²
Flügelfläche: 18,64 m²
Spurweite: 2,10 m
V-Stellung:
Flügelpfeilung Vorderkante: 40°
Leermasse: 4.420 kg
Startmasse normal: 7.650 kg
Startmasse maximal: 8.000 kg
Kraftstoff: 2.040 Liter
Flächenbelastung: 429,18 kg/m²
Leistungsbelastung: 0,9 kg/kp Schub
Masse des RB 145 (Hubtriebwerk): 205 kg RB 145 R
Masse des RB 145 R Hubmarschtriebwerk): 275 kg
Spezifischer Kraftstoffverbrauch: 1,06 kg/kph beim Start
Höchstgeschwindigkeit in Bodennähe: 980 km/h
Höchstgeschwindigkeit in 6.000 m: 1.320 km/h
Reisegeschwindigkeit in 6.000 m: 1.000 km/h
Landegeschwindigkeit: 0 km/h
Gipfelhöhe: 12.000 m
Steigleistung: 86,0 m/s
Steigzeit auf 1.000 m: 0,3 min
Steigzeit auf 3.000 m: 0,5 min
Reichweite normal: 1.000 km
Reichweite maximal: 1.300 km
maximale Flugdauer: 1,25 h
Rollstrecke: 0-3 m
Landestrecke: 0-30 m

Bewaffnung: keine

Text: Eberhard Kranz

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