Made In Hong Kong

07.05.2009 PSEN
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Seit Februar 2007 weilt Andreas Mangold, vormals Kapitän bei der Swiss, in Hong Kong und berichtet regelmässig über sein Leben in der Metropole und seine Erlebnisse an seinem Arbeitsplatz, der Boeing 747-200, den er für Cathay Pacific Airways fliegt.

Nun sind es bereits mehr als 9 Wochen, seit ich von zu Hause in die grosse weite Welt gezogen bin. Ich kann es selber fast nicht glauben, sind wir doch erst gerade noch gemütlich beisammen gehöcklet auf der Buechmatt. Jetzt kenne ich das alte Monster ( = mein künftiges Büro = Boeing 747-200 = guter alter Jumbo) beinahe auswendig. Sollte ich jedenfalls. Aber alles schön der Reihe nach. Was für ein Scheiss-Samstag, dieser 3. Februar. Am 2. hatte ich natürlich noch in letzter Minute packen müssen, wie immer. Bis sich der Koffer schliessen liess (minimum dreimal umpacken) war locker Mitternacht. Den Rest der Nacht habe ich dann nicht wirklich gut geschlafen. Aber aufgeregt? NEIN! Sicher nicht!

B747-200 Dubai

Es war einfach ein Scheiss-Samstag. Müde, traurig, kalt, dunkel, nass und ein herzzerreissender Abschied auf dem Bahnhof. Umsteigen in Basel, Zwischenhalt Badischer Bahnhof, letzte SMS verschicken. Dann verstummt mein Coop Mobile Funkgerät. Der ICE gibt sich alle Mühe, aber so richtig „express“ kommen wir nicht voran. Was mache ich hier? Bin ich eigentlich noch ganz normal, alle was mir lieb ist hinter mir zu lassen und zu den Chinesen auszuwandern??? Na ja, viel schlimmer als bei der Swiss kann’s ja nicht mehr kommen und, und,.. „Mannheim, Reisende nach Frankfurt Flughafen umsteigen bitte“. Auf der anderen Seite des Perrons steht der Zug zurück nach Basel. Soll ich? Letzte Chance?! Jä Stärneföifi. „Was d’Anita cha, chani au! Gring abe u... ystige in Zug nach Frankfurt“.

Beim Einchecken für den Käthy-Flug nach Hong Kong (das Käthy ist meine neue Chefin, Cathay Pacific Airways) realisiere ich erst, dass ich ja ein Business-Class Ticket habe - nach dem Regen scheint die Sonne! - Ja, denkste: „Tut uns leid Herr Mangold, die Club-Klasse ist überbucht, blablabla... Ergebnis: Ich werde die nächsten 13 Stunden satt eingeklemmt zwischen Fenster und zwei Fremden verbringen. Erinnerungen an meine qualvolle Odyssee letzten Sommer werden wach, als ich verzweifelt versuchte über Basel, Frankfurt und am Schluss Zürich nach Hong Kong zu gelangen. Aber dies ist eine andere Geschichte und die meisten von euch kennen sie ja schon. Dass sich die Dame am Gate (oder Flugsteig, wie das hier heisst) noch an dieses Drama erinnern kann, hätte ich nicht gedacht. Sie hat jedenfalls noch immer oder schon wieder Mitleid mit mir und verspricht „mal zu schauen“.

Cathay Pacific - Mein neuer Arbeitgeber

Ich erhoffe mir nicht allzu viel und sitze dann auch satt eingeklemmt zwischen Fenster und zwei Fremden. Gute sechs Stunden lang. Zum Schiffen gehe ich genau einmal, weil es mir einfach zu blöd ist, die anderen zwei jedes Mal zu wecken und von ihren Sitzen zu verjagen. Plötzlich, irgendwo über dem nächtlichen Russland, ich versuche gerade einzuschlafen, holt mich die Dame vom Gate wieder ein. Sie hat gut geschaut: Ich werde von einer Flugbegleiterin gebeten mitzukommen. Auf dem Weg in die Jumbo-Beule erklärt sie dann, dass mir der Kapitän einen der beiden für die Cockpit-Besatzung reservierten Business-Sitze vermacht hat. Sie bräuchten sie nicht mehr, da sie schlafen gehen. Hä??? Ach so: Die haben BETTEN hinter dem Cockpit!!! Das Käthy wird mir immer sympathischer. Und weil die auf so langen Flügen zu viert sind, wird wohl noch irgend jemand die Kiste steuern. Der Second Officer muss aber offenbar weder steuern noch schlafen. Er schaut sich neben mir die neusten on-board Filme an und wir plaudern noch ein wenig zusammen.

Nach einem herrlichen Nickerchen landen wir am Sonntag planmässig um 9 Uhr Lokalzeit in Hong Kong Chek Lap Kok. Dies ist der neue Flughafen, noch von den Engländern als Ersatz für den legendären Stadtflughafen Kai Tak ins Nichts, d.h. Ins Meer gebaut. Mit dem Material, das aufgeschüttet wurde, könnte das Kolosseum in Rom 200 mal gefüllt werden. Auch sonst gelten hier andere Dimensionen: War bei der Swiss ein Airbus 330/340 das höchste aller Gefühle, sind beim Käthy die 330er Regionalflugzeuge.
Das Käthy hat ihren Hauptsitz ebenfalls hier am International Airport. Eigentlich handelt es sich um eine eigene kleine Stadt - Cathay City - mit Einkaufsstrasse (alles überdacht und klimatisiert, wir befinden uns schliesslich in den Tropen) Bürotürmen, Trainingscenter, Restaurants, Einkaufsläden, Coiffeur, Fitnesscenter, Schwimmbad und einem ganz guten Hotel. Letzteres wird nun für 4, 5, 6 Monate mein Zuhause sein. Toll. Bin ja wirklich nicht verschleckt, aber gegen Heimweh hilft es nicht. Nicht wirklich.

Im Januar

Schon am Montag geht es los. Company Induction. Anzug und Krawatte, natürlich. Very british, mein Käthy. Der Generaldirektor war zu diesem Zeitpunkt zwar ein Chinese, wurde aber mittlerweile “wegbefördert”. Jetzt ist die Bude wieder fest in der Hand der Engländern. Diese machen auch den Hauptteil des Pilotencorps aus, dann folgen die Australier, Amis sowie ein paar Schweizer, die zum Teil ebenfalls vor dem Swiss-Regime flüchten mussten. Chinesen arbeiten fast ausschliesslich in der Administration. Gegründet wurde Cathay, was dem alten Namen Chinas entspricht, 1946 von einem amerikanischen und einem australischen Pilot. Der letzte Unfall liegt 25 Jahre zurück, als an Bord einer Convair 880 eine Bombe hoch ging. Mittlerweile besteht die Flotte aus 41 Jumbos, wovon 7 Classic-Frachter, 18 A340, 27 A330 und 17 Boeing 777 sind. Weitere 33 Grossraumflugzeuge für über eine Milliarde Dollar sind bestellt. Im Jahr 2006 wurden fast 17 Millionen Passagiere befördert und die Gesellschaft erwirtschaftete einen Gewinn von 630 Millionen Franken. Mit Gewinnbeteiligung für die über 16\'000 Mitarbeiter.

Als erstes muss ein Bankkonto eröffnet werden. Leuchtet ein. Dann beginnt ein richtiger Marathon durch die Innereien vom Käthy. Welcome-Briefing mit Mrs Sowieso, Föteli machen (ohne Badge geht hier gar nichts), Hände schütteln, lächeln, Krankenkasse, Pensionskasse, Intranet kennen lernen, Hände schütteln, lächeln, ab zum Kostümschneider, Flugbücher abgeben, Lizenzkontrolle, wieder zurück in die Teppichetage zum Rendez-vous mit dem Chef Flugbetrieb, Hände schütteln, usw. Zu guter Letzt werden wir noch mit einem BERG Bücher eingedeckt, wohl, damit uns nicht langweilig wird. Wir sind erschlagen. Wir, das bin ich und Graham. Graham ist Engländer, pardon Schotte (diese Verwechslung habe ich nur einmal gemacht), 41, Familienvater und pensionierter Royal Airforce Pilot. Ein ganz netter Typ und für die nächste Zeit mein Schicksalsgefährte.

Im Februar

Die ersten zwei Wochen sind recht locker. Wir müssen in dieser Zeit zwar 4 Prüfungen beim Luftamt von Hong Kong schreiben, aber wir werden gut vorbereitet und bestehen dann auch prompt. Bereits zu diesem Zeitpunkt wird klar, wie wichtig gute Kontakte sind. Man muss die meisten Informationen selber beschaffen und je besser die Kontakte, desto weniger kurz sind die abgesagten Hosen. Da konnten uns natürlich die zwei, welche den Umschulungskurs drei Wochen vor uns begonnen hatten, am besten helfen. Mark und Kim (Engländer und Däne) taten ihr Bestes, uns „Juniors“ mit allem Möglichen und Unmöglichen einzudecken. Auch sonst haben wir dann noch einiges zusammen unternommen. Dazu später.

Hong Kong ist einfach genial!
Vormals eine britische Kolonie, wurde es am 1. Juli 1997 an China zurückgegeben. Dabei wurde ausgehandelt, dass für weitere 50 Jahre eine Teilautonomie von Peking bestehen bleibt. Diese „Special Administrative Region“ umfasst die Hong Kong Island, den Festlandgürtel mit Kowloon und den New Territories bis zur chinesischen Grenze, sowie einigen weiteren Inseln, wovon Lantau die Grösste ist. Vor Lantau befindet sich auch der Flughafen. Obwohl flächenmässig nur so gross wie der Kanton Uri, leben in Hong Kong knapp gleich viele Leute wie in der ganzen Schweiz. Trotzdem hat man nicht unbedingt das Gefühl, das Land sei überbevölkert. Vielleicht liegt es daran, dass die Chinesen so klein sind, oder dass die Häuser in schwindelerregende Höhen gebaut werden und dazwischen relativ viel Platz bleibt. Es gibt Nationalparks mit fast unberührter Natur, Sandstrände und sogar ein Disneyland passt rein. Und dann immer wieder der pazifische Ozean mit seiner unendlichen Weite.

Hong Kong im Juli 2007

Schnell beginne ich die nähere Umgebung des Hotels zu erkunden. Meist rennenderweise. Ich verschreibe mir als Ausgleich zum ewigen Bücherwälzen ein tägliches Sportprogramm und FDH (friss die Hälfte). Graham ist so von meinem Helvetischen Gesundheitswahn so beeindruckt, dass er auch mitzieht. Sein Eifer geht soweit, dass er zum Zmorge nur noch Birchermüesli isst (statt Toast und Speck und Eier und Würstli) und auch „eff-di-eitsch“ macht. Als er sich jedoch eines Tages mit dem Offiziersmesser in den Finger schneidet, flaut seine Begeisterung für Schweizer Erfindungen merklich ab. Ja, die Umgebung des Hotels. Viel gibt es hier nicht, aber zum Rennen reicht\'s und zum Abschluss jage ich mich jeweils auf einen kleinen Hügel, von wo man eine wunderbare Aussicht über den Flughafen und das angrenzende Lantau hat. Dort befindet sich Tung Chung. Tung Chung würde im Baselbiet Liebrüti heissen. Eine ziemlich hässliche Hochhaussiedlung. Dort gibt es aber alles, was der Hochhauschinese so braucht, inkl. einem Wasserfallen-Gondeli auf den nächsten Berg.

Bis nach Kowloon oder Hong Kong Island sind es rund 30 Kilometer. Am schnellsten, d.h. in ca. 35 Minuten, legt man diese Strecke mit dem Airport Express Train oder aber mit der U-Bahn, die in Tung Chung beginnt, zurück. Zudem gibt es unzählige Linienbusse, Fähren und natürlich Taxis. Der öffentliche Verkehr ist so gut ausgebaut, dass die Wenigsten ein eigenes Auto haben und auch keines brauchen. Oder es sich gar nicht leisten können, weil beim Kauf eines privaten Fahrzeugs höllische Importsteuern erhoben werden. Verstopfte Strassen sind daher zum Glück selten. Wir können unseren ersten Ausgang in die Stadt kaum erwarten. Zusammen mit Mark und Kim geht’s zuerst nach Mong Kok zum Shopping. Mong Kok ist ein Stadtteil von Kowloon, bekannt für seine unglaublich reichhaltigen Strassenmärkte. Natürlich mit viel gefälschter Ware, aber was soll’s. Wir haben unseren Spass und geniessen bei 25°C in kurzen Hosen und T-Shirts die magische Stimmung dieser vibrierenden Metropole.

Im Februar 2007

Als wir alle so richtig hungrig sind und uns gerade darauf geeinigt hatten, etwas Einheimisches zu essen, landen wir auf dem Lebensmittelmarkt. Oder besser gesagt: Auf dem Froschmarkt, denn links und rechts werden den Kröten mitten auf der Strasse bei lebendigem Leib die Beine abgehackt, „Dörf\'s no es Bitzeli meh si? Jäwoll, nomol drei!“. Die armen Dinger zappeln noch immer, die Beinchen im Einkaufskorb und dutzende Körper im Abfall. Jä ebe, was wollten wir nun essen? So finden wir uns schliesslich in einem Irischen Pub wieder und bestellen Burger. Dort stösst auch Andy zu uns, ein Käthy-Ingenieur. Mark hatte mit ihm abgemacht, damit er uns das Nachtleben zeige. Andy ist zwar dreifacher Familienvater und bestimmt 50, aber was den Ausgang betrifft so um die 20. Graham hatte mich bereits vor den „Engineers“ gewarnt; sie sind nicht nur in der Royal Airforce die „Könige der Nacht“! Mit der Fähre fahren wir von Tsim Sha Tsui durch den Victoria Harbour hinüber zur Hong Kong Island mit ihrer spektakulären, farbig beleuchteten Skyline. In Wan Chai ziehen wir von Bar zu Bar, von Club zu Club, überall eine Riesenstimmung, meist mit Livebands und, und, und.

Viele solcher Abende hatten wir seither nicht mehr, aber es war jedes Mal eine riesen Gaudi und auch der kulturell-historische Aspekt hat nicht gefehlt: so waren wir im „bottom’s up“, dem ersten Oben-ohne-Klub von Hong Kong, James Bond Kennern ein Begriff. Und alles ist sooo günstig. Ein Big Mac kostet beispielsweise 10 Hong Kong Dollars (1.6o Fr.), ein Mittagessen rund 50 Hongkis und ein Anruf ab Natel auf das Schweizer Festnetz 4 Rappen. Fast hätte ich vergessen, dass ich ja noch auf das Schweizer Konsulat sollte. Wegen dem Militär. Falls nämlich in der Schweiz ein Krieg ausbrechen sollte, muss der Schmid Sämi schliesslich wissen, wohin er den Marschbefehl für den Mangold schicken muss. Das Konsulat befindet sich im 62. Stock des dritthöchsten Wolkenkratzers von Hong Kong. Schicke Adresse, im Warteraum liegt der Tagesanzeiger. Nette Bedienung, Schwyzerdütsch. Nach zehn Minuten ist alles erledigt, d.h. eigentlich ist nichts erledigt, weil ich den Heimatschein in der Schweiz vergessen habe. Dafür habe ich bereits eine Anmeldung für den „Schützenverein Hong Kong“ in der Hand. Ich nutze die Gelegenheit den Lift nach ganz oben zu nehmen. Kurz vor dem 75. Stock geht’s nicht mehr weiter und ich befinde mich in einer Glaspyramide knapp in den Wolken. Grandios!

Käthy

There are NO limits! Weder in der Höhe der Häuser, noch im Wirtschaftswachstum, noch beim Essen: der letzte Schrei in China sollen Spinnenschleckstängel sein. Es gibt mittlerweile über 1,3 MILLIARDEN Chinesen. Die Luftverschmutzung ist hier, je nach Jahreszeit und Windrichtung, das Hauptproblem. Mehrheitlich nicht hausgemacht, aber aus China hierher geblasen. Kein Wunder, wird dort doch aktuell JEDE Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb genommen. Und die sind noch weit von unserem Lebensstandard entfernt. Sonst hat diese Stadt wirklich keine grossen Probleme, nicht einmal die Kriminalität ist eines. Es gibt schon Verbrechen, aber fast ausschliesslich unter den chinesischen Mafiabanden; da geht’s dann umso unzimperlicher zu, Hände abhacken und so. Falls doch einmal ein Mord geschieht, streiten sich die Kriminologen um den Fall.

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